KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
eines Atombombenangriffs. Von denen, die das Glück hatten, sich weiter als 1500 Meter vom Einschlag entfernt aufgehalten zu haben, hatten viele die Chance, die Explosion zu überleben, ohne dabei eine akut lebensbedrohliche Dosis ionisierender Strahlung aufzunehmen. Es sollte sich allerdings herausstellen, dass auch die Überlebenden – die Hibakusha, wie die sie Japaner nennen – eine lebenslange Bürde zu tragen hatten. Nicht nur in ihren Köpfen, auch tief innen in ihrem Körper hatte der Angriff ein tückisches Engramm hinterlassen.
Die Hibakusha sind
die bei Weitem größte, bestuntersuchte und am längsten nachbeobachtete Gruppe von Menschen, die jemals höheren Dosen radioaktiver Strahlung ausgesetzt worden waren. Im Jahr 1950 begannen die Untersuchungen der Radiation Effects Research Foundation, einer gemeinsam von Japan und den USA getragenen wissenschaftlichen Einrichtung mit Sitz in Hiroshima und Nagasaki. Ziel der Institution war die Erforschung potentieller Langzeitfolgen der Strahlung und ihrer Auswirkungen auf die Sterblichkeit der Atombombenüberlebenden.
Die sogenannte Life Span Study (LSS)-Untersuchungsgruppe umfasste insgesamt 120
321 Personen. Von ihnen hielten sich 93
741 Personen zum Zeitpunkt der Explosionen in Hiroshima und Nagasaki auf. Von diesen 93
741 Überlebenden konnte bei 86
611 Personen aufgrund detaillierter Angaben über ihren Aufenthaltsort eine Berechnung der Strahlendosis durchgeführt werden, der sie zum Zeitpunkt der Explosion und kurz danach ausgesetzt waren. 33 Von diesen 86
611 Personen, die die zentrale Untersuchungsgruppe für die Ermittlung der Strahlenauswirkungen darstellen, sind zwischen den Jahren 1950 und 2000 insgesamt 47
685 Personen gestorben, davon 10
127 an soliden Krebsformen und 296 Menschen an Leukämie.
Diese Zahl klingt zunächst erschreckend hoch. Man muss sich allerdings klar machen, dass innerhalb eines Zeitraums von 50 Jahren auch ohne artifizielle Bestrahlung viele Menschen an Krebs sterben. Die erwarteten Zahlen für eine vergleichbar große Gruppe von Japanern ohne künstliche Strahlenexposition liegen bei immerhin 9647 Todesfällen durch solide Tumoren und 203 Leukämie-Sterbefälle.
Damit sind in der Untersuchungsgruppe rein rechnerisch 480 Krebs- und93 Leukämie-Sterbefälle – insgesamt also 573 Tote – auf die Strahlenspätwirkungen der Bombenabwürfe zurückzuführen. Aus den Daten ist auch zu entnehmen, dass bei den rund 38
500 Personen, die Strahlendosen unterhalb von 5 Millisievert ausgesetzt waren, keine erhöhte Krebssterblichkeit festgestellt werden konnte. Um solche Angaben einordnen zu können, sollte man wissen, dass 5 Millisievert etwa der Strahlenbelastung durch eine Computertomographie entsprechen und jeder von uns Mitteleuropäern je nach Wohnort sowieso mindestens 2 Millisievert pro Jahr aus natürlichen Strahlenquellen wie dem Radon im Boden oder kosmischer Hintergrundstrahlung ausgesetzt ist. Im Gegensatz zu anfänglichen Befürchtungen haben die Untersuchungen an den Kindern und Kindeskindern der Atombombenüberlebenden bisher keinen Hinweis auf eine strahlenbedingte Erhöhung vererbbarer Effekte ergeben. 34
Auch wenn die Zahlen niedriger sind, als viele von uns vielleicht intuitiv erwartet hätten: Jeder Krebstote ist einer zu viel! Und die Indizienlage hinsichtlich unseres Problems ist klar: Ähnlich wie beim Rauchen spricht die Statistik auch hier eine eindeutige Sprache. Radioaktive Strahlen erhöhen auch in relativ geringen Dosen das Risiko, an Krebs zu erkranken. 35 Jede überflüssige Strahlenexposition sollte also vermieden werden.
Trotzdem ist die Radioaktivität kein Kandidat, der geeignet wäre, das Krebsrätsel zu lösen. Wir stehen im Großen und Ganzen vor ähnlichen Problemen wie bei der Vergiftungs-Hypothese. Wir können zwar der ionisierenden Strahlung im Gegensatz zu Kanzerogenen nie vollständig entgehen. Denn wir Menschen sind schon immer der Strahlung aus den natürlichen Quellen in der Erde und aus dem Weltraum ausgesetzt, scheinen uns damit aber recht gut arrangiert zu haben. Ich werde weiter unten noch erklären, wie und warum das der Fall ist. Alles, was wir an Strahlung aus künstlichen Quellen zusätzlich aufnehmen, erhöht zwar tatsächlich unser Krebsrisiko, erklärt aber keineswegs den rasanten Anstieg bestimmter Krebserkrankungen im 20. Jahrhundert. Noch weniger erklärt es den Rückgang von Tumorerkrankungen wie dem Magenkrebs. Vermutlich hat die
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