KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Fehler unterläuft. Die aggressive chemische Umgebung der DNA lässt eigentlich noch eine deutlich höhere Fehlerquote erwarten. Die meisten entstandenen Fehler werden aber repariert, bevor sie vererbt werden können. Ohne die Fähigkeit zur ständigen Reparatur der DNA wären wir gar nicht in der Lage, unsere genetische Integrität über längere Zeit zu konservieren. Die Evolution hat daher im Lauf der Zeit mehrere hocheffektive Systeme zur Reparatur der verschiedenen Arten von DNA-Schäden entwickelt. 21
Trotz all dieser Bemühungen und ohne jedes Zutun von außen können Mutationen durch die Maschen der Kontrollsysteme schlüpfen. Krebs kann also völlig ohne die Beihilfe der im letzten Kapitel genannten Verdächtigen entstehen. Trotzdem kann natürlich keiner der Kandidaten, weder die Viren noch die chemischen Karzinogene noch die ionisierende Strahlung oder gar die ererbten »Krebsgene«, freigesprochen werden. Alle diese Faktoren steigern die »natürliche« Mutationsrate zum Teil dramatisch. Sie können daher das Risiko, das jeder von uns in sich trägt, unter Umständen drastisch vergrößern. Vergessen wir nicht, dass starke Raucher zehnmal häufiger an Lungenkrebs leiden als Nichtraucher.
Fazit – Alles mündet in den Genen
Im 1. Kapitel habe ich erklärt, dass es in unserer Umwelt sehr unterschiedliche Faktoren gibt, die Krebserkrankungen auslösen können , und überlegt, ob und wie die verschiedenen potentiellen Auslöser (Chemikalien, ionisierende Strahlung, Viren, Vererbung) in ein übergeordnetes kausales Prinzip münden.
Dieses Prinzip ist jetzt gefunden. All diese Faktoren sind potentielle Mutagene, sie können die DNA verändern und damit die Fehlerquote beim Kopieren unseres genetischen Textes vergrößern. Knapp 5–10 Prozent aller Krebserkrankungen sind nach Ansicht der beiden Epidemiologen Richard Doll und Richard Peto Mutationen geschuldet, die als genetische Bürde bereits über die Keimbahn vererbt und uns auf den Weg mitgegeben wurden.
Darüber hinaus gibt es verlässliche Schätzungen darüber, welchen Anteil die unterschiedlichen exogenen Faktoren an der Gesamtzahl aller Krebserkrankungen haben. 22
Der weitaus bedeutsamste äußere Faktor
ist das Rauchen. Fast ein Drittel aller Krebserkrankungen weltweit können auf den Einfluss des Rauchens zurückgeführt werden. Knapp ein weiteres Drittel scheint durch andere chemische Faktoren inklusive unserer Ernährung verursacht zu sein. Bei dieser Gruppe sind die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung allerdings außerordentlich komplex. Nur ein kleinerer Teil dieser Fälle wird durch eindeutig identifizierte Kanzerogene wie die Anilinfarbstoffe verursacht. Vor allem über die Nahrung führen wir uns einen unüberschaubaren Cocktail unterschiedlichster Substanzen in großen Mengen zu, von denen einige das Krebsrisiko erhöhen können, andere hingegen sogar protektiv gegen Krebs zu wirken scheinen. Davon später mehr. 23
Weitere 10–15 Prozent aller Krebserkrankungen sind den Infektionen mit onkogenen Viren zuzuschreiben. Die letzte Gruppe von Krebserkrankungen sind die strahleninduzierten Tumoren und Leukämien. Ein Teil der Strahlung stammt dabei aus natürlichen Strahlenquellen, der Rest aus Strahlenquellen, die von Menschenhand erschaffen wurden, wovon aber weder Kernkraftwerke noch Atomwaffenexperimente, sondern die medizinischen Strahlenquellen quantitativ die größte Rolle spielen. Es bleibt ein kleiner Rest von Krebserkrankungen, die vermutlich ausschließlich durch endogene Mutationen, ohne Zutun äußerer Einflüsse, verursacht werden.
Die »Tathergänge« weisen wie gesagt Ähnlichkeiten auf, ganz gleich, was eine Krebserkrankung auslöst. Faktoren wie das Rauchen erhöhen das Krebsrisiko immens. Aber weder das Rauchen noch andere Umweltfaktoren – seien es Chemikalien, Strahlen oder Viren – sind notwendig oder hinreichend, um zwangsläufig die Krankheit auszulösen.
Tief im Prozesskern
muss es eine Zufallskomponente geben, die bei der Metamorphose von der Zelle in eine Krebszelle ihre Hand im Spiel hat. Alle diese Vorgänge münden in unseren Genen. Gene steuern und regulieren das Zellwachstum. Aber Gene sind für Gestalt- und Funktionalitätsveränderungen anfällig. Die Gesetze der Chemie fordern unerbittlich ihren Tribut und schmuggeln immer wieder kleinere Fehler in unsere genetischen Texte. Diese Fehler, die Mutationen, sind im Einzelfall immer zufälliger (stochastischer) Natur. Ganz gleich wie stark die DNA
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