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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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wie bei einer Ratte in der Falle. Ich zumindest sah nichts in ihr außer Angst und Hass. Es war genau die Art von Angst und Hass, welche die Liebe zu einem anderen zwangsläufig hervorrufen musste. Und dennoch hätte ich mich vielleicht noch beherrscht und nicht getan, was ich getan habe, wenn sie geschwiegen hätte. Aber sie fing plötzlich an zu reden und griff nach meiner Hand, in der der Dolch lag. ‹Besinne dich! Was ist denn nur, was hast du? Es ist gar nichts gewesen, gar nichts … Ich schwöre!›
    Ich hätte noch gezögert, aber diese Worte, aus
denen ich das Gegenteil schloss, nämlich dass alles gewesen war, verlangten nach einer Antwort. Und die Antwort musste der Stimmung entsprechen, in die ich mich gebracht hatte, einer Stimmung, die sich wie ein fortlaufendes Crescendo immer weiter steigern musste. Auch die Raserei hat ihre Gesetze.
    ‹Lüg nicht, du Aas!›, kreischte ich und hielt mit der linken Hand ihren Arm fest, doch sie riss sich los. Da packte ich sie, ohne den Dolch loszulassen, mit der linken Hand am Hals, warf sie rücklings hin und fing an, sie zu würgen. Ihr Hals war so zäh … Sie griff mit beiden Händen nach meinen, versuchte, sie von ihrem Hals wegzuziehen, und jetzt, als hätte ich darauf nur gewartet, stieß ich ihr den Dolch mit aller Kraft in die linke Seite, unterhalb der Rippen.
    Wenn Menschen sagen, sie wüssten in einem Wutanfall nicht mehr, was sie tun, so ist das Unsinn, es ist nicht wahr. Ich wusste es genau, ich vergaß es keine Sekunde. Je mehr ich selbst meine Raserei anfachte, desto heller brannte das Licht des Bewusstseins in mir, ein Licht, in dem ich gar nicht anders konnte als sehen, was ich tat. Es war mir in jeder Sekunde klar. Nicht im Voraus, das wohl nicht, aber in der Sekunde der Tat, und ich glaube, sogar kurz davor, wusste ich,
was ich tat – wie um sicherzustellen, dass ich es später würde bereuen, dass ich mir würde sagen können: Ich hätte auch aufhören können. Ich wusste, dass ich unterhalb der Rippen zustach und dass der Dolch eindringen würde. In dem Moment, in dem ich zustach, wusste ich, dass ich etwas Grauenhaftes tat, etwas, was ich noch nie getan hatte und was grauenhafte Folgen haben würde. Doch dieses Bewusstsein leuchtete nur kurz auf, wie ein Blitz, und auf das Bewusstsein folgte sofort die Tat. Auch die Tat nahm ich außerordentlich deutlich wahr. Ich spürte, daran erinnere ich mich, wie das Korsett und noch etwas anderes einen kurzen Widerstand boten, und wie die Klinge dann ins Weiche sank. Sie griff nach dem Dolch und zerschnitt sich damit die Hände, konnte ihn aber nicht aufhalten. Später im Gefängnis, nach meiner inneren Wende, habe ich lange über diesen Moment nachgedacht, mir so viel wie möglich davon in Erinnerung gerufen und darüber nachgedacht. Ich erinnere mich, dass mir für einen Augenblick, nur einen Augenblick unmittelbar vor der Tat, furchtbar klar wurde, dass ich dabei war, eine Frau zu töten, sie schon getötet hatte, eine wehrlose Frau, meine Frau. Ich erinnere mich an mein Entsetzen darüber und schließe daraus –
und ich erinnere mich auch schwach daran -, dass ich den Dolch, nachdem ich zugestochen hatte, sofort wieder herauszog, weil ich das Getane korrigieren, den Lauf der Dinge anhalten wollte. Ich stand einen Moment bewegungslos da und wartete ab, was nun kam, ob sich noch etwas korrigieren ließ. Sie sprang auf und rief: ‹Hilfe! Er hat mich umgebracht!›
    Die Kinderfrau, die den Lärm gehört hatte, erschien in der Tür. Ich stand immer noch da, wartend und ungläubig. Doch da schoss das Blut unter ihrem Korsett hervor. Jetzt erst begriff ich, dass sich nichts mehr ändern ließ, und sofort beschloss ich, dass das auch nicht nötig war, dass ich genau das gewollt hatte und genau das hatte tun müssen. Ich wartete, bis sie hinstürzte, bis die Kinderfrau schrie ‹Gütiger Gott!› und zu ihr lief; erst dann warf ich den Dolch weg und verließ den Raum.
    ‹Nur nicht aufregen, ich muss wissen, was ich tue›, sagte ich zu mir, ohne sie oder die Kinderfrau anzusehen. Die Kinderfrau schrie, sie rief nach dem Mädchen. Ich ging den Flur entlang, schickte das Mädchen zu ihnen und ging weiter auf mein Zimmer zu. ‹Was ist jetzt zu tun?›, fragte ich mich, und sofort war mir die Antwort klar. Ich betrat das Arbeitszimmer und ging
geradewegs zur Wand, nahm einen Revolver herunter, untersuchte ihn – er war geladen – und legte ihn auf den Tisch. Dann holte ich die Dolchscheide hinter dem Sofa

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