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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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anzubieten, denen man nur den Zutritt zu seinem Haus verwehren kann?»Anna biss sich auf die Lippen und verstummte. Tränen traten ihr in die Augen, sie hatte den ganzen Tag so geduldig auf ihren Mann gewartet, sich solche Sorgen um ihn gemacht, und dann dieses Wiedersehen! Ungeachtet der Finsternis und der feuchten Witterung peitschte sie das Pferd und sprengte ihrem Mann davon.
    Der Fürst ritt mit Bechmetew hinterher und versuchte sie mit lauten Rufen zurückzuhalten.
«Anna, langsamer! Das Pferd stürzt noch. So was Verrücktes!», schrie er schließlich verzweifelt.
    Doch Anna hörte nichts und niemanden mehr. Zu Hause angekommen, ging sie ins Kinderzimmer und ließ sich den ganzen Abend nicht mehr blicken.

III
    Den folgenden Tag verbrachte der Fürst zu Hause mit dem Freund; er zeigte ihm sein Gut und gedachte der alten Zeiten, jener Jahre der Jugend, in denen sie sich angefreundet und ein gemeinsames Leben gelebt hatten. Gegen Abend fuhr Bechmetew ab, und der Fürst verabschiedete sich kühl von seiner Frau, um zu der Jagdgesellschaft zurückzukehren. Man hatte ihn wissen lassen, dass alle, Jäger wie Hunde, bei einem Gutsbesitzer in der Nachbarschaft, einem alten Junggesellen, übernachteten und dass man ihn dort erwartete.
    Nach zwei Tagen erschien Bechmetew wieder. Der Fürst war noch nicht von der Jagd zurück und die traurig gestimmte Anna allein zu Hause.
    Sie freute sich sehr über den Besuch, errötete
und wunderte sich selbst darüber, dass Bechmetews Anwesenheit ihr so angenehm war.
    «Entschuldigen Sie, Fürstin, dass ich beschlossen habe, erneut zu Ihnen zu kommen. In meiner Einsamkeit zieht es mich einfach in Ihren Winkel familiären Frohsinns.»
    «Wir freuen uns sehr, Sie bei uns zu sehen, Dmitri Alexejewitsch», sagte Anna,«nur sind wir immer mit für Sie so uninteressanten Dingen beschäftigt. »
    «Mit sehr interessanten», schaltete sich Pawlik ein.«Sehen Sie doch, wie schön; Mama, zeig es mal.»
    Anna schlug ein Album auf, in das mit größter Sorgfalt getrocknete Blumen eingeklebt waren: ganze Sträuße, Kränze, Figuren in ungewöhnlichen Formen und Blumenkompositionen.
    «Wunderbar! Man sieht, dass Sie eine Künstlerin sind, Fürstin. Komm, Pawlik, wir beide machen etwas ganz besonders Feines.»
    Alle wandten sich wieder ihrer Beschäftigung zu, und der Abend verging unmerklich und fröhlich.
    Als die Kinder im Bett waren, griff Bechmetew nach dem auf dem Tisch liegenden Buch und äußerte seine Verwunderung, dass Anna so etwas Altes las – Lamartine.

    «Wie sind Sie darauf verfallen, Fürstin, ausgerechnet Lamartine zu lesen?»
    «Zufällig. Ich habe ihn nie zuvor gelesen und jetzt großes Gefallen an dieser Lektüre gefunden. Ihnen bereitet das ja keine Mühe, lesen Sie mir doch etwas vor.»
    «Mit Freuden, Fürstin, ich habe ihn völlig vergessen. »
    Anna nahm eine Arbeit zur Hand und machte es sich mit einem sonderbaren Gefühl des Glücks und der Ruhe bei der Lampe bequem. Wie widerstrebte ihr die Einsamkeit! Hin und wieder warf sie einen Blick auf das abgehärmte, ernste und zerquälte Gesicht ihres Gastes, auf seine hohe Stirn und die spärlichen schwarzen Haare an seinen Schläfen und dachte:«Nein, er spreizt sich nicht, wie es mir vorkam – er ist unglücklich und sicherlich ein großartiger Mensch.»
    Bechmetew las: «‹La nuit est le livre mystérieux des contemplateurs, des amants et des poètes. Eux seuls savent y lire, eux seuls en ont la clef. Cette clef – c’est l’infini.›» 17
    «An der Stelle war ich gerade. Das gehört zu den Kommentaren. Ich mag sie sehr.»
    «Dieser Zusammenhang zwischen der Nacht und der Unendlichkeit, dem infini , ist überaus
poetisch. Ja, wenn man nicht an dieses infini glaubte, wäre es schrecklich zu sterben.»
    «Weshalb bringen Sie das Gespräch auf den Tod?», wollte Anna wissen und wunderte sich über ihre plötzliche Herzbeklemmung.
    «Deshalb, weil er mir schon zwölf Jahre angedroht wird und man mich zwingt, in fremden Ländern zu leben, dort, wo es warm ist; jetzt habe ich beschlossen, nirgendwo mehr hinzufahren und in Russland zu leben, auf dem Lande. »
    «Wir fahren den Winter über nach Moskau. Mein Mann will seine Aufsätze herausbringen.»
    «Ich habe davon gehört, Fürstin, und es betrübt mich sehr, dass Sie alle ausgerechnet in dem Winter, den ich in Ihrer Nachbarschaft verbringe, die ganze Zeit in der Stadt sein werden. Immer habe ich mit allem Pech. Bisher haben Sie doch das ganze Jahr hier gelebt?»
    «Ja,

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