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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Moskau angelieferten neuen Maschinen interessierten Anna wenig, aber ihre glückliche Verfassung stimmte sie so milde, dass sie niemanden kränken mochte, und so hörte sie sich aufmerksam und sogar mit Anteilnahme an, was den Verwalter beschäftigte.

    Als der Weg sich gabelte, nach der einen Seite zum Herrenhaus, nach der anderen zum Nebengebäude des Verwalters, und Anna sich verabschiedete, bemerkte sie plötzlich ihren Mann, der ihr entgegenkam. Schon von Weitem grüßte sie ihn mit fröhlicher und liebevoller Stimme, doch als er näher heran war und sie sein Gesicht sah, stockte ihr das Herz. Es war wutverzerrt.
    «Woher kommst du so früh?», wollte er wissen.
    «Ich habe einen Spaziergang gemacht und gebadet. »
    «Et que veut dire cette intimité avec l’intendant?» 25
    «Intimité? Warum? Er kam einfach von den Feldern, ich vom Baden, wir sind uns begegnet und beide weiter nach Hause gegangen; es gibt ja wohl nur den einen Weg?», lautete Annas lächelnd vorgebrachte einfache Erklärung.
    «Du warst schon immer erniedrigend taktlos und wirst es auch bleiben; dieses Tête-à-tête ist unschicklich, c’est presque un domestique 26 », sagte der Fürst mit vor Entrüstung erstickter Stimme.
    «Ach, du lieber Gott! Warum verdirbst du nur ewig unser Glück?», sagte Anna.
    «Jetzt beginnen auch noch die Sentimentalitäten. Je suis trop vieux pour cela, ma chère. 27 »
    «Es ist völlig unnötig, dass du dich selbst und
mich quälst», fuhr Anna fort.«Du tust mir leid. Sieh mich doch an, schau dich um, komm, lass uns zusammen gehen», redete Anna ihm sanft zu. Der Fürst schwieg und lief voraus.
    «Bist du denn nicht in der Lage, dich einmal nicht zu ärgern? Dazu besteht doch gar kein Grund! Ja, ich bin taktlos und dumm, aber mir tut es doch weh um dich, ich liebe dich. Ich kann diese Strenge, diese Ruhelosigkeit, die in dir ist, nicht mit ansehen.»Sie fasste ihn unter und schmiegte sich an ihn, wie um Behütung und Zärtlichkeit bittend. Doch der Fürst schob ihren Arm weg und schritt eilig aus. Anna hielt inne; mit trockenen verzweifelten Augen sah sie ihrem Mann nach, als geleite sie ihr letztes Glück, bevor auch sie mit einem schweren, tiefen Seufzer langsam ihren Heimweg fortsetzte.
    Von diesem Tag an begann der Fürst den Verwalter böswillig zu schikanieren und brachte sich mit dessen bald darauf schuldlos erfolgender Entlassung um eine wertvolle Stütze.
    Anna konnte und wollte sich die Erniedrigung nicht eingestehen, die sie durch ihren Mann erdulden musste. Sie, die ihre Unbescholtenheit über alles auf der Welt stellte und für ein reines, glückliches Familienleben alles geopfert hätte, wenn es von ihr verlangt worden wäre!

    Wieder einmal war es vorbei mit dem guten Verhältnis zu ihrem Mann. Es wurde angespannt, distanziert, unnatürlich. Anna litt schwer darunter, nicht lange war sie sorglos und glücklich gewesen. Abermals begann sie zu verlöschen, und um sich vor der Melancholie zu retten, nahm sie ihre alte Lieblingsbeschäftigung wieder auf – das Malen.
    Eines Morgens griff sie zu Leinwand, Schirm und Farbkasten, verließ das Haus und suchte sich eine Stelle am Teichufer, um eine Dorfansicht zu malen. Gerade hatte sie alles vorbereitet, als sie plötzlich das Geräusch einer Kutsche vernahm. Sie blickte zum Weg hinüber und erkannte sofort die Kalesche und die Pferde Bechmetews. Seit ihrer Ankunft war er nur einmal bei ihnen gewesen, und zwar in einer größeren Gesellschaft, sie wusste, weshalb er sich fernhielt. Eine dunkle Ahnung sagte ihr, dass seine uneigennützige Liebe vor allem darauf bedacht war, ihr Familienglück nicht zu stören, sie nicht in seelische Unruhe zu versetzen, und dieser edle Zug erhöhte ihn nur noch mehr in ihren Augen.
    Bechmetew hatte Anna schon von Weitem erblickt, jetzt hielt er die Pferde an und stieg aus. Nachdem er sie begrüßt hatte, sagte er:«Sieh an,
womit Sie wieder beschäftigt sind, Fürstin. Ich habe eine Ewigkeit nichts mehr gemalt.»
    «Lassen Sie uns doch zusammen etwas malen – mal sehen, wer es besser kann, möchten Sie?», schlug Anna vor.
    «Ich habe ja nichts bei mir.»
    «Ich habe alles. Gehen Sie meinem Mann Guten Tag sagen, und dann holen Sie sich aus dem Schrank im Eckzimmer alles, was Sie brauchen. Dort finden Sie eine ebensolche Leinwand, eine Palette und Farben. Pinsel gebe ich Ihnen, hier sind genug.»
    Eine halbe Stunde später war Bechmetew mit allem Nötigen zurück, und die Arbeit begann.
    «Wie steht es um Ihre

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