Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
selbst… Ich wage nicht, nach dem Glück zu suchen, und verliere meine Ruhe.»
«Haben Sie sich denn bemüht, nach dem Glück zu suchen?»
Bechmetew antwortete nicht gleich, plötzlich schlug er jedoch einen scherzhaften, lockeren Ton an:«Kennen Sie Ihre Nachbarin Jelena Michailowna? Sie hat sich große Mühe gegeben, mich zu zerstreuen. Eine lustige Dame!… Vorsicht, Fürstin, Sie geben nicht acht, wohin Ihr Pferd tritt, und es ist gestrauchelt.»
«Also, was ist mit Jelena Michailowna?», wollte Anna wissen.
«Bei ihr fanden gesellige Abende statt, da ging
es sehr lebhaft zu, und sie behandelte mich besonders liebenswürdig. Ich habe mit ihr eine sehr fröhliche Zeit verbracht…»
Anna erinnerte sich an diese umtriebige, hemmungslose Jelena Michailowna, der sie am Abend von Bechmetews erstem Besuch zusammen mit ihrem Mann begegnet war und die sie anfangs so eifersüchtig gemacht hatte. Das Haus dieser Jelena Michailowna war für die gesamte Nachbarschaft der Mittelpunkt leichtsinniger Ausgelassenheit, doch ehrenhafte Frauen verkehrten nicht mit ihr.
«Gefallen Ihnen solche Frauen wie Jelena Michailowna? »
«Ich bin ein großer Verehrer von ihr», erwiderte Bechmetew sarkastisch,«eine lustige und nette Gesprächspartnerin…»
«Was ist los mit ihm?», dachte Anna.«Er neckt mich.»
Doch er neckte sie nicht. Es kostete ihn große Mühe, nicht mit der verzweifeltsten, leidenschaftlichsten Liebeserklärung herauszuplatzen. Vor Erregung benahm es ihm den Atem, er war schwach, unglücklich, redete Gott weiß was für Dummheiten, zu denen ihn sein Selbsterhaltungstrieb veranlasste, er hätte losweinen können, weil er sie betrübte, wusste jedoch, dass er
es nicht wagen würde, ihr zu sagen, dass er nur sie allein auf der Welt liebte, dass er, zu zweit mit ihr in dieser stillen, wundervollen bewaldeten Natur, den Kopf verloren hatte vor Glück und Verzweiflung, weil er sich dies nicht zunutze machen konnte, sondern ihre Ruhe und ihr Glück mit einem anderen Mann behüten musste.
Anna nahm die Unterhaltung mit Bechmetew nicht wieder auf. Sie trieb das Pferd mit einem kräftigen Peitschenhieb vorwärts und verschwand im Waldesdickicht. Der Weg führte zu dem Bach, an dem der Fürst sie finden sollte. Als Anna das Pferd in Trab setzte, hatte sie den Bach vergessen, und als sie ihn sah, war es schon zu spät, das Tier zu stoppen. Doch der kluge Rappe blieb von sich aus abrupt stehen, sodass Anna aus dem Sattel flog. Bechmetew, der sie eingeholt und alles beobachtet hatte, schrie auf.
Aber Anna war sofort wieder auf den Beinen und klopfte ihr Kleid ab.«Ich bin ganz leicht gestürzt», sagte sie,«und spüre gar keine Prellung. »
«So stürzt man nur auf der Bühne», bemerkte Bechmetew, aber seine Stimme bebte.
«Also, reiten wir weiter», sagte Anna und versuchte sich in den Sattel zu schwingen.
«So kommen Sie nicht hoch, ich helfe Ihnen, wenn Sie gestatten, Fürstin», sagte Bechmetew und hielt Anna seine Hand als Stütze hin.
Sachte nur berührte ihr kleiner Fuß Bechmetews Hand. Durch den dünnen Schuh spürte sie, wie heiß diese war, und plötzlich durchrieselte sie ein Schauer. Ihr wurde schwarz vor Augen, und im selben Moment sah sie ihre Tochter Manja vor sich. Vor ein paar Tagen, als Bechmetew am Abend mit ihr zusammengesessen und ihre Übersetzung korrigiert hatte, waren die Kinder gekommen, um Gute Nacht zu sagen. Manja hatte Bechmetew mit zornigen Augen angesehen und sich strikt geweigert, ihm die Hand zu geben. Den Grund erklärte sie keinem und sagte nur:«Nein, ich will nicht.»
«Lieber Gott!», dachte Anna.«Meine liebe arme Manja! Du brauchst keine Angst um mich zu haben, ich liebe dich zu sehr.»
«Nein, so bitte nicht, nein!», schrie Anna auf.«So kann ich nicht, ich danke Ihnen. Da ist ein Baumstumpf, ich komme allein auf das Pferd hinauf.»
Bechmetew führte das Pferd zu dem Baumstumpf, und just in dem Moment kam der Fürst angeritten. Nachdem er den Besucher verabschiedet hatte, beeilte er sich, seine Frau und den
Freund einzuholen. Die ganze Zeit war er unruhig gewesen. Und als er sah, dass Anna nicht auf dem Pferd saß und dicht bei ihr Bechmetew stand, fuhr ihm ein schrecklicher Verdacht durch den Sinn; er erbleichte und brachte kein Wort heraus. Seine Lippen bebten, er presste die Zügel zusammen. Seine erste Regung war, beiden einen Hieb mit der Peitsche zu versetzen. Doch dann gewann er die Fassung wieder und hörte sich ruhig an, was seine Frau über ihren Sturz
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