Kreuzberg
du?«
»Nur so.«
»Siggi, du
fragst nie nur so.«
»Nachrichtentechniker
hatten wir auch im M f S «, erklärt er mir, »kann sein, dass er
mal für uns gearbeitet hat. Als Verbindungsmann oder so.«
Gab es
eigentlich irgendwen im Osten, der nicht mit der Stasi zu tun hatte? Das ist
vielleicht ein Sumpf. Immerhin würde das die Gerüchte erklären, von denen der
Reinicke vorhin erzählt hat. Ob er wusste, dass sie sich nicht nur auf ihn,
sondern womöglich und vor allem auch auf seine Frau bezogen?
»Willst du
mir noch etwas sagen?«
Siggi
schüttelt den Kopf.
»Gut«, sage
ich nach einer Weile. »Dann muss ich dich jetzt festnehmen. Nicht nur, weil du
als verurteilter Straftäter auf der Flucht bist, sondern auch, weil du mir
wichtiges Zeugenwissen vorenthältst. Weil du einen dreifachen Mörder deckst. In
weniger als einer halben Stunde wirst du wieder in der JVA Tegel sitzen. Und dann werden wir ja sehen, ob dein Leben dort bedroht ist. Ob
der lange Arm des KGB bis in deine Zelle reicht.«
»Das kannst
du nicht machen, Dieter.« Ihm steht plötzlich kalter Schweiß auf der Stirn.
»Das wäre mein sicherer Tod.«
»Kann sein.
Aber du ziehst es ja offenbar vor, aufrecht zu sterben. Ein aufrechter Kämpfer
des Sozialismus, den weder Folter noch drohender Tod schrecken können. So einer
verrät doch keine Genossen.« Ich bin sauer und packe mein Phantombild wieder
ein. »Gratuliere, Siggi. Du wirst es weit bringen. Vielleicht beerdigen sie
dich ja auf ihrem Ehrenfriedhof in Friedrichsfelde als Märtyrer für die gerechte
Sache.«*
»Deinen
Spott kannste dir sparen.« Siggi macht eine wegwerfende Handbewegung. »Das
scheint ja heute Mode zu sein, dass man sich über die Menschen lustig macht,
die immer für eine bessere Welt gekämpft haben. Aber dass du das auch nötig
hast …«
»Es geht
hier nicht um eine bessere Welt, Siggi. Es geht um Mord. Und der ist immer ein
Verbrechen, egal, auf welcher Seite man steht.«
»Naumann«,
knurrt Siggi unwillig.
»Was?«
»Naumann«,
wiederholt er. »Der Mann auf deinem Phantombild ist Heribert Naumann.«
»Dein
Rechtsanwalt?«
»Ich werde
mir wohl einen neuen suchen müssen«, seufzt Siggi.
Das haut
mich um. Ich kenne den Naumann zwar nur vom Namen her, weil er regelmäßig
Kopien von Siggis Gerichtspost an Monika schickt, hielt ihn aber für seriös. Und
war der Mann nicht auch Dozent an der Uni? Allmählich wird mir klar, welch
ungeheure Dimensionen der Stasisumpf in unserer Hauptstadt hat. Ein Wahnsinn!
Unvorstellbar, eigentlich …
»Von mir
weißt du das nicht!« Siggi rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum.
»Natürlich«,
widerspreche ich, »ich brauch dich als Zeugen. Sonst läuft es auf Indizien
raus. Ich weiß nicht, ob wir ihn damit festnageln können.«
»Es gibt
ein Beweismittel.« Siggi atmet tief durch. Es fällt ihm wirklich schwer
auszupacken. »Die Tatwaffe, diese Browning. Sie liegt im Fluss unter der
Heerstraßenbrücke. Es müssten Fingerabdrücke drauf sein, denn Naumann trug
keine Handschuhe.«
Gut. Ich
werde sofort ein paar Taucher zur Havel schicken.
Siggi sieht
plötzlich sehr verloren aus. Er hat gegen sein oberstes Prinzip verstoßen. Er
hat einen Kameraden verraten. Irgendwie kann ich mir vorstellen, wie er sich
fühlt.
»Falls es
dich beruhigt«, sage ich zu ihn, »Swantje Steffens wurde nicht gefoltert, bevor
sie starb.«
Er nickt
abwesend.
»Du solltest
dich stellen, Siggi. Wir können dich schützen.«
»Ich werde
mich stellen«, verspricht er mir. »Sobald sich die Lage etwas beruhigt hat. Ich
melde mich wieder.« Er steht auf und geht.
Und ich
springe zum nächsten Telefon. Im Atlantic haben sie einen Münzfernsprecher im
Gang zu den Toiletten. Hastig bestücke ich ihn mit Kleingeld und löse eine
Großfahndung nach Heribert Naumann aus.
Bevor Siggi
noch auf die Idee kommt, seinen Anwalt zu warnen.
42 MEYER WAR
ZUFRIEDEN. Das
Gespräch mit Dieter hätte besser nicht verlaufen können. Dieser arrogante
Arsch. Der kam gar nicht auf die Idee, dass man ihm den Trottel, der sich im
Eifer der Debatte gern mal verplappert, nur vorspielte.
Im
Gegenteil: Wahrscheinlich war der so selbstsicher auftretende Kriminalhauptkommissar
vollkommen davon überzeugt, dass er seinen Delinquenten nur durch geschickte
Gesprächsführung, das feine Ausbalancieren von generösem Zugeständnis und
subtiler Drohung, dazu gebracht hatte, Heribert Naumann ans Messer zu liefern.
Und wahrscheinlich würde er Monika umgehend vom Erfolg
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