Kreuzberg
anderen
Schwestern beachteten Fatma kaum. Für ein türkisches Mädchen war Putzfrau in
einem Krankenhaus die beste Tarnung. Vor allem, wenn es seiner Freundin auch
außerhalb der Besuchszeiten und nachts nahe sein wollte. Mit Kittel, Wischwagen
und einer Batterie diverser Schrubber fiel man hier nicht auf.
Das
Urban-Krankenhaus war wie ein eigener Planet, so groß wie eine Kleinstadt, mit
unzähligen Gängen, Stationen und Zimmern. Es gab eine Bibliothek, mehrere
Kioske, eine Cafeteria, ein Restaurant und einen riesigen Keller auf mehreren
Etagen, in dem man sich prima verstecken konnte. Seit vier Wochen lebte Fatma
praktisch hier. Zum Waschen benutzte sie die Duschen für das Krankenhauspersonal,
es gab saubere Toiletten, genügend Bahren, auf denen man schlafen konnte, und
eine riesige Küche, in der immer Reste für die eifrigen Putzfrauen abfielen.
Seit
Annikas Einlieferung war Fatma kaum noch draußen. Zum Selbstverteidigungstraining
in der Villa Kreuzberg etwa. Das wollte sie nicht verpassen. Genauso wenig wie
den Hexentag und die Patrouillen im Park. Und dann, um das Video zu drehen. Das
war so echt, dass selbst ihre Mutter glaubte, Fatma sei in die Hände
skrupelloser Kidnapper geraten. Dabei war doch klar, dass sie was drehen
wollte, um an Vaters Kohle zu kommen. Aber mit einer Entführung hatte keiner
gerechnet. Dabei war das die einzige Möglichkeit, um das blöde Auto aus der wie
Fort Knox gesicherten Garage zu bekommen. Seitdem stand der Wagen im Parkhaus
des Krankenhauses. Ganz unauffällig zwischen all den anderen Autos der Ärzte,
Pfleger und Besucher.
Am
frühen Nachmittag dann der Schock: Fatma hatte sich gerade in der Cafeteria ein
Eis gekauft, als sie ihren Vater in der Notaufnahme sah. Eigentlich wollte sie
mit dem Idioten nichts mehr zu tun haben. Aber gesorgt hatte sie sich doch.
Angeblich ein Selbstmordversuch. Das hatte sie nicht gewollt. Aber es passte zu
ihm.
Sie war den
Pflegern gefolgt und in sein Krankenzimmer gelaufen.
»Na,
Arschloch!«
»Fatma,
mein Herz«, hatte er gewinselt und sich darüber gefreut, dass sie noch am Leben
war. Sorgen habe er sich gemacht, ganz große Sorgen, aber nun sei alles gut.
Und wieso
wollte er sich dann aufhängen, der Idiot?
Weil ihn alle
verlassen hätten, Mama und Cemir und Orhan – alle weg. »Nur du, Liebes,
bist wieder da. Mein Kind, mein Alles …«
Sie hatte
sich widerwillig in den Arm nehmen lassen und kämpfte gegen das Mitleid, das
sie plötzlich mit ihm hatte.
Sie war
immer ein »Papakind« gewesen. Sie war sein Engel und die Mama schon vom älteren
Bruder belegt. Also hatte sie sich bereits als Baby instinktiv dem Vater
zugewandt, der sie abgöttisch liebte und verhätschelte. Fatma war sein Gold,
sein Edelstein, sein Diamant auf Erden. Und wenn sie was wollte, brauchte sie
nur zum Vater zu gehen und bekam es auch.
Doch dann
kam der Tag, an dem sie ihren Vater mit einer anderen Frau sah. Eine blonde
Barbiepuppe wie aus dem Otto-Katalog. Sie saßen in einem teuren Restaurant in
Mitte, und Vater war kaum wiederzuerkennen. Wie er sprach, wie er
gestikulierte, wie er flirtete. Unglaublich war das, fast wie im Film.
Fatma stach
es ins Herz. Plötzlich wusste sie, warum Mutter immer so traurig war, warum sie
drei Putzjobs hatte und das Geld doch nie reichte, obwohl Vater ja angeblich so
gut mit seinen Blumen verdiente.
Der Arsch
verjubelte es mit anderen Frauen! Er machte teure Reisen in Länder, von denen
Fatma noch nie gehört hatte, und chauffierte fremde Weiber in seinem neuen
Mercedes zur Oper und wer weiß wohin noch alles. Überhaupt, der Mercedes. Sie
mussten sich alle Plastikschlappen über die Schuhe ziehen, wenn sie mit ihm
fahren wollten, und die Garage im Hof wurde mit neuen Schlössern gesichert wie
ein Safe.
Einmal
hatte sich Fatma heimlich darin einschließen lassen. Sie beobachtete ihren
Vater, wenn er sich nachts am Wagen zu schaffen machte. Und was sie dann sah,
überstieg all ihre Vorstellungen.
Als sie ihn
später wütend zur Rede stellte, beteuerte er, dass er seine Familie doch liebe.
Er tue das alles nur für sie. Für schlechte Zeiten, für die Zukunft. Doch das
Leben sei kurz. Zu kurz, um es nur einmal zu leben. Er wolle genießen, solange
er auf der Welt sei. Was sei daran schlimm?
Fatma sagte
es ihm.
Schlimm
sei, dass er seine eigene Frau ausbeute. Schlimm sei, dass er sie betrüge, dass
er sein Leben auf dem Rücken anderer lebe, dass er sein Glück auf dem Unglück
anderer aufbaue. Mutters Tränen
Weitere Kostenlose Bücher