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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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seiner Großartigkeit
berichten.
    Ja, Dieter,
dachte Meyer mit einem feinen Lächeln um den Mund, du bist schon ein toller
Hecht. Wir alle bewundern dich.
    Jetzt
musste den Sowjets klargemacht werden, dass der Schuldige am Tod ihres Fahrers
und der beiden KGB -Agenten gefunden war. Meyer wollte dabei
schön außen vor bleiben. Bloß keinen direkten Kontakt mehr, bis sich die
Verhältnisse in Moskau wieder etwas beruhigt hatten. Er brauchte einen
Strohmann, einen Nachrichtenübermittler, den die Sowjets als glaubhaft und
seriös einstuften. Ein ehemaliger Oberst der NVA kam da gerade recht. Auch
noch vom Nachrichtenbataillon, das passte. Manchmal konnte das Leben so
geradlinig sein.
    Meyer
musste nur noch herausfinden, wo dieser Reinicke seinen Wohnsitz hatte, und
deshalb lenkte er seine Schritte gemächlich Richtung Norden, dorthin, wo
Kreuzberg fast nur noch aus Sozialbauten bestand und am ärmsten und lautesten
war. Denn hier, im Zentrum des sozialen Brennpunktes, hatten nicht nur die
Ausländerbehörde und das Arbeitsamt ihren Sitz, sondern auch das
Landeseinwohneramt. Und dort hatte Meyer einst einen verdienten Genossen
untergebracht, der ihm heute sicher gern zu Diensten war.
    »Reinicke
sagste?« Der Genosse war noch immer ganz verblüfft über den unverhofften Besuch
seines alten Chefs. Pflichtgemäß hatte er eine Flasche Wodka hervorgeholt, um
anzustoßen, zur Begrüßung und der alten Zeiten wegen. Dann war Meyer ziemlich
schnell zur Sache gekommen.
    »Lothar
Reinicke, warte mal, da gibt’s ’n paar in Berlin.«
    »Aber nur
einen, der mit ’ner Steffens verheiratet war. Swantje Steffens.«
    »Mhm.« Der
Genosse tippte umständlich auf seiner Computertastatur herum. »Wurde alles
elektronisiert im letzten Jahr. Kein Rumgerenne mehr mit Karteikarten. Aber das
System ist nicht vollständig: Ostberlin ist noch nicht drin, und mit den
Ummeldungen kommen wir auch nicht hinterher. – Ah, hier! Das muss er sein:
Reinicke, Lothar, Chamissoplatz 3. Kreuzberg!« Der Genosse nickte zufrieden.
»Also fast ums Eck.«
    »Danke.«
Meyer verabschiedete sich.
    »Komm doch
mal vorbei«, schlug der Genosse vor. »Samstags zum Dart-Turnier in der
›Harmonie‹ an der Rosenthaler. Achtzehn Uhr geht’s los.«
    »Dart?«
Meyer winkte ab. »Da blamiere ich mich. Hab ich noch nie gespielt.«
    »Ach
Quatsch, das lernt man in drei Minuten.« Der Genosse lachte. »Außerdem sind
viele von unserer alten Truppe dabei. Wird dir Spaß machen.«
    »Ich
überleg’s mir.«
    Meyer gab
ihm die Hand und ging.
    Eine
halbe Stunde später klingelte er an der Wohnungstür von Lothar Reinicke.
    Ein
drahtiger, etwas gedrungen wirkender Mann mit freiem Oberkörper und Glatze
öffnete und sah ihn feindselig an.
    »Wer sind
Sie?«
    »Ich bringe
Nachrichten von Ihrer Frau.« Meyer lächelte den sichtlich erstaunten Reinicke
an.
    »Meiner
Frau?«
    »Ja.« Meyer
hatte das Gefühl, als nähme sein Gegenüber unwillkürlich eine Abwehrhaltung an.
»Ihrer geschiedenen Frau«, verbesserte er sich. »Sie sind doch Lothar Reinicke,
oder?«
    »Ja.« Der
Mann wartete ab.
    »Wollen Sie
mich nicht reinlassen?«
    Lothar
Reinicke schüttelte den Kopf. »Meine Ex ist tot«, sagte er.
    »Oh, ja,
ich weiß.« Meyer nickte bedauernd. »Und ich weiß auch, wie sie gestorben ist.«
    »Ach«,
machte Lothar Reinicke erstaunt. »Wer sind Sie? – Polizei?«
    »I wo«,
winkte Meyer ab und lächelte nachsichtig. »Nur ein Freund, der Sie um einen
kleinen Gefallen bitten möchte. Eine Art Meldegänger, kennen Sie doch noch von
früher, oder?«
    Reinicke
rührte sich kaum.
    »Sie waren
doch Oberst bei der Truppe«, wurde Meyer deutlicher.
    »Ich
dachte, Sie wollen mir erzählen, wie meine Ex gestorben ist.« Jetzt machte
Reinicke doch einen Schritt beiseite. »Na, kommen Sie erst mal rein.«
    »Vielen
Dank.«
    Meyer sah
sich neugierig um.
    Eine kleine
Einzimmerwohnung im Hinterhaus. Flur, Küche, Bad. Nichts Besonderes. Eher
bescheiden. Zu bescheiden für einen ehemaligen Oberst der Nationalen
Volksarmee. Im Zimmer befanden sich eine aufgeklappte Schlafcouch mit
ungemachtem Bettzeug, ein Kleiderschrank und eine Kommode, auf der ein weißer,
tragbarer Junost-Fernseher aus sowjetischer Produktion stand. Am Fenster gab es
einen schmalen Esstisch mit zwei Stühlen von IKEA .
    Meyer fiel
die gepackte Reisetasche am Boden auf.
    »Sie wollen
verreisen?«
    »Geht Sie
das was an?«
    »Nein.«
Meyer setzte sich auf einen der Stühle. »Natürlich nicht. Aber eventuell werden
Sie

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