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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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von
Ostkreuz bis Alexanderplatz. Dann im Süden Richtung Zehlendorf. Und zwischen
Nikolassee und Wannsee. Aber wie gesagt, entweder stimmen die Fahrpläne nicht,
oder …« Er schüttelt nachdenklich den Kopf.
    »Und die U-Bahn-Strecken?«
Mir fällt auf, dass er die völlig außer Acht gelassen hat. »Was ist mit den U-Bahn-Strecken?«
    »Das hatten
wir doch längst ausgeschlossen«, belehrt er mich, »das Mädchen sitzt nicht
irgendwo unter der Erde, sondern …«
    »Oberirdisch,
schon klar. Aber die U-Bahn fährt ja auch nicht nur unter der Erde. Die U
1 zum Beispiel zwischen Gleisdreieck und Schlesischem Tor fährt über einen
Viadukt. Genau wie in Ostberlin die Linie nach Pankow.«
    Damaschke
starrt mich an. »Genial«, entfährt es ihm, »Dieter, du bist einfach genial!«
    Falsch,
denke ich: Das Genie bist du. Ich bin nur aufmerksam.
    Damaschke
fängt sofort an zu rechnen. Er beginnt mit der Linie 1 und markiert ein
Teilstück am Halleschen Ufer. Die U-Bahn fährt hier als Hochbahn über eine
Trasse am Landwehrkanal von nordwestlicher in südöstliche Richtung. Das heißt,
die Sonne scheint morgens auf die Nordostseite der Trasse und abends auf die
Südwestseite. Dort aber stehen Bäume, die den Sonneneinfallswinkel stören
können, weshalb sich Damaschke erst mal auf die nordöstliche Seite
konzentriert, wo die Trasse direkt an der Straße langführt, mit weniger
störendem Baumbewuchs.
    »Hier!« Er
tippt auf die Karte. »Such mal im U-Bahn-Fahrplan. Morgens gegen sieben Uhr,
wir brauchen die genauen Abfahrtszeiten vom U-Bahnhof Hallesches Tor in
Richtung Zoo.«
    Ich
blättere mich durch den aktuellen BVG -Plan. Die Züge fahren im
Fünf-Minuten-Takt. »Sechs Uhr einundfünfzig, sechs Uhr sechsundfünfzig, sieben
Uhr eins, sieben Uhr sechs …«
    »Das
reicht«, stoppt mich Damaschke. »Wie lange brauchen die bis Möckernbrücke?«
    »Eine
Minute.« Ich lese es vor: »Ankunft sechs Uhr zweiundfünfzig, sechs Uhr
siebenundfünfzig, sieben Uhr zwei …«
    »Sieben Uhr
zwei.« Damaschke klatscht in die Hände. »Genau! Das passt!«
    »Was
passt?«
    »Alles!« Er
umarmt mich begeistert. »Das haut genau hin: Sonnenstand, Uhrzeit, Fahrzeit, es
passt einfach alles!«
    »Okay«, ich
mache mich wieder los. »Und wo ist jetzt das Mädchen?«
    »Hier!«
Damaschke zeigt es mir auf der Karte. »Genau hier. Im ersten Stock.«
    Aber was
ist da? Ich trete näher an die Karte heran. »War da nicht früher mal Peter
Steins Schaubühne?«
    »Die sind
jetzt am Lehniner Platz.« Damaschke strahlt. »Das Theater wurde zuletzt für
freie Gruppen genutzt, steht aber seit Monaten leer.«
    »Perfekt«,
finde ich das und greife zum Telefon. »Ich brauche Einsatzfahrzeuge und ein SEK am Halleschen Tor. Kein Blaulicht, kein Horn, klar? Es ist Gefahr im Verzug.«
    Zwanzig
Minuten später ist die alte Schaubühne am Halleschen Ufer von Polizeifahrzeugen
umstellt. Das Anfang der sechziger Jahre ursprünglich für die Arbeiterwohlfahrt
errichtete Gebäude mit den riesigen Glasfronten zur Straße hin war einst
Deutschlands berühmtestes Theater. Von 1970 an sorgten hier revolutionäre
Theatermacher wie Peter Stein, Bob Wilson und Klaus Michael Grüber mit ihren
Dramaturgen Botho Strauss und Dieter Sturm für bahnbrechende Aufführungen und
handfeste Skandale. Zum Ensemble gehörten so berühmte Mimen wie Bruno Ganz,
Peter Fitz und Otto Sander und Schauspielerinnen wie Monica Bleibtreu, Edith
Clever und Jutta Lampe. 1981 dann zog die Truppe in ihr neues Haus am Lehniner
Platz am Kurfürstendamm ein, und das alte Theater am Halleschen Ufer
verwahrlost seitdem. Die riesigen Fensterfronten sind fast blind, Putz blättert
von den Wänden, ein Graffito meldet in Anlehnung an das Motto der letzten
Loveparade: » MY HATE IS YOUR HATE AND OUR HATE IS
FIGHT! «
    Im Erdgeschoss
gibt es noch das alte Theatercafé. Es ist eingerichtet wie zu frühen
Schaubühnenzeiten, ganz im Stile der politisierten siebziger Jahre mit
Antifa-Postern an den Wänden, Kampagnen-Tees im Angebot und einer hübschen,
aber sehr einsamen studentischen Tresenkraft. Aus den Boxen dringt Sinéad
O’Connors »Nothing Compares 2 U«, und die einzigen Gäste sind ein
früh ergrauter Alt-68er mit Nickelbrille und Wollpullover und seine sehr viel
jüngere Begleiterin. Erschrocken schauen sie auf die vielen, in ihren Rüstungen
sehr martialisch wirkenden Polizisten, die von überall her ins Haus eindringen.
    »Was ist
denn jetzt los?« Es klingt mehr wie ein Vorwurf als eine

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