Kreuzberg
Frage und sehr empört.
Beruhigend
lächle ich den beiden Gästen zu. »Nur eine polizeiliche Maßnahme, keine Panik.«
»Dafür ist
Geld da!« Der grauhaarige Nickelbrillenträger kommt hinter seinem Tisch hervor.
»Aber für die Kunst keinen Pfennig!« Feindselig starrt er mich an. »Weisen Sie
sich aus! Und erklären Sie mir den Grund für diesen Überfall.«
Dass diese APO -Typen
immer so ein Problem mit staatlicher Autorität haben. Unwillkürlich schüttele
ich den Kopf.
»Setzen Sie
sich wieder, und trinken Sie Ihren Kaffee, es ist alles in bester Ordnung.«
»Ihren
Namen und Ihre Dienstnummer, bitte!« Die Nickelbrille will tatsächlich meinen
Ausweis. Will er sich beschweren? Über mich? – Lächerlich. Ich ziehe
meinen Ausweis hervor, zögere. »Und Sie sind?«
»Das tut
nichts zur Sache!« Er will mir meinen Ausweis abnehmen, doch ich ziehe die Hand
zurück.
»Ich fürchte
doch«, sage ich, immer noch lächelnd, »einfach der Fairness halber: Ich sage
Ihnen, wer ich bin, sogar mit Dienstnummer, und Sie verraten mir, wer Sie
sind.«
»Dazu bin
ich nicht verpflichtet«, regt er sich auf, während ihn seine junge Begleiterin
zurückhaltend am Arm zupft. »Sie dringen hier in mein Haus ein wie einst die
Babylonier in Jehuda. Dafür habt ihr Geld«, wiederholt er aufgebracht, »für
eure hochgerüstete Polizeitruppe. Nur die Kunst muss darben!«
Dafür kann
ich doch nichts.
»Ihr Haus«,
frage ich ihn, »wieso Ihr Haus?«
»Das ist
Herr Tauchwitz«, ruft seine Begleiterin, als müsste ich den Namen kennen.
»Ottokar Tauchwitz! Er leitet hier die freie Theaterarbeit.«
»Na, warum
sagen Sie das nicht gleich? Sehen Sie, Herr Tauchwitz, und ich leite hier den
Einsatz.«
»Was suchen
Sie überhaupt?«
»Ein
Mädchen«, antworte ich ernst. »Es ist seit vergangener Woche entführt.«
»Hier?« Die
Begleiterin klingt jetzt unangenehm schrill. »Bei uns?«
Damaschke
kommt aufgeregt heran. »Oben«, ruft er, »wie ich gesagt habe.«
»Entschuldigen
Sie mich!« Ich lasse den Tauchwitz und seine junge Muse stehen und folge dem
Spurensicherer in den ersten Stock.
Die
Ziegelwand ist aus Pappe. Eine Theaterkulisse in Kelleroptik. Ein Stuhl steht
davor, und die Stricke, mit denen das Mädchen gefesselt war, liegen auch noch
am Boden. Durch die schmuddeligen, seit Jahren nicht mehr geputzten raumhohen
Fensterfronten scheint die Sonne. Draußen rattert eine U-Bahn über den Viadukt
am Landwehrkanal. Fatma Misirlioglu selbst ist nirgends zu sehen.
Damaschke
sperrt den Ort mit rotweißen Bändern ab und packt sein Analyseköfferchen aus.
»Mal sehen, ob wir hier noch was Brauchbares finden.«
Tauchwitz
und seine Begleiterin sind uns nach oben gefolgt.
»Was hat
das zu bedeuten?«
Der vorwurfsvolle
Unterton des freien Theatermannes geht mir inzwischen ziemlich auf die Nerven.
»Fatma
Misirlioglu«, schnauze ich ihn an. »Sagt Ihnen der Name was?«
»Nie
gehört.«
»Aber
doch«, widerspricht die Begleiterin. »Die kleine Türkin, weißt du. Die die schwarze
Paula im › Lusitanischen Popanz ‹ spielen sollte.«
»Wann haben
Sie das Mädchen zuletzt gesehen?«
Die
Begleiterin weiß es nicht mehr genau, und auch Tauchwitz zuckt nur mit den
Schultern.
»Seit dem
Projekt jedenfalls nicht mehr.«
»Was für
ein Projekt?«
»Ein
Theaterprojekt. Was sonst?« Tauchwitz breitet spöttisch die Arme aus. »Sie
befinden sich hier in einem Theater, mein Herr! Ich weiß, es ist
heruntergekommen, aber so sieht Kunst nun einmal aus, wenn man zwar die Polizei
hochrüstet, die Kultur aber verhungern lässt.«
Mir ist
wirklich nicht nach kulturpolitischer Diskussion.
»Was war
das für ein Theaterprojekt?«, frage ich, nur noch mühsam beherrscht. »Wann war
damit Schluss?«
»Im
Frühsommer«, antwortet die Begleiterin. »Kurz vor der Premiere haben die
Mädchen alles hingeschmissen. Das Stück war ihnen zu politisch und zu
verstaubt …«
»Diese
kleinen Krähen!« Tauchwitz ballt wütend die Fäuste und schnaubt. »Was wissen
die denn? – Nichts!«
»Das war
als soziales Projekt angedacht«, erklärt die Begleiterin, »in Kooperation mit
dem soziokulturellen Zentrum Villa Kreuzberg. Jugendtheater als
interkultureller Katalysator, verstehen Sie? Gerade hier, in diesem Berliner
Bezirk, einem Brennpunkt der Migration –«
»Ich
verstehe«, unterbreche ich die junge Frau, bevor sie sich in Wallung redet.
»Wenn ich Sie also recht verstehe, scheiterte das Projekt am Widerstand
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