Kreuzberg
»Gehen wir eine rauchen.«
Wir
stehen im Hof der Keithstraße. Beylich ist Nichtraucher, dafür quarze ich umso
mehr und weiß nicht, wie ich anfangen soll.
»Okay,
Egon«, beginne ich umständlich, »du weißt ja, dass ich mit einer Journalistin
also nicht unbedingt zusammenlebe, aber …«
»Sie kriegt
ein Kind von dir.«
»Richtig,
ja. Und sie arbeitet beim Tagesspiegel an so einer Recherche über den
kommunistischen Untergrund in dieser Stadt.«
»So was
gibt’s?«
»Ja, so was
gibt’s.« Ich lache bescheuert auf. »Irre, was? – Du weißt nichts davon?«
Beylich
schüttelt den Kopf.
»Was mich
interessiert, ist …« Ich sehe ihn prüfend an. »Wie stehst du eigentlich
zur demokratischen Grundordnung in unserem Land? Ich meine, immerhin bist du
auch Kommunist und –«
»Sozialist«,
berichtigt er mich, »demokratischer Sozialist.«
»Also dann
ist Demokratie für dich okay?«
»Sicher«,
antwortet er, »für dich etwa nicht?«
»Doch,
doch, natürlich!« Ich komme ja aus dem Westen, wieso sollte ich kein Demokrat
sein? Freiheit ist mein zweiter Vorname, sozusagen.
»Also ich
habe einen Fehler gemacht«, hole ich tief Luft, »und ich denke, ich sollte dir
das sagen, bevor dir das jemand anders sagt. Ich habe dich angeschwärzt. Beim
Chef. Wegen deiner Ostvergangenheit. Ich meine, wir wissen ja alle, dass du so
’n oller VoPo bist, und ich hatte plötzlich Bedenken, dass du … Dass du
vielleicht auch zu diesen kommunistischen Untergrundkämpfern gehörst, von denen
mir Monika erzählt hat. In Moskau putschen sie ja gerade, und deshalb liegen
bei mir ein bisschen die Nerven blank. Aber das war trotzdem nicht okay von
mir, ich will mich da gar nicht rechtfertigen – ich meine, bin ich
McCarthy, oder was? Nein. Im Gegenteil: Ich fühle mich schlecht deswegen. Ich
habe dir womöglich Unrecht getan und äh …« Ich halte ihm die Hand hin.
»Ich will mich entschuldigen.«
Beylich
sieht mich lange an. »Das kannst du gar nicht«, sagt er nach einer Weile.
»Was?«
»Dich
entschuldigen.« Beylich lächelt. »Niemand kann sich selbst entschuldigen,
verstehst du? Entschuldigen kann dich nur der, den du um Entschuldigung
bittest.«
Stimmt,
denke ich. »Ich bitte dich um Entschuldigung. Das war unkollegial«, setze ich
aufrichtig hinzu, »und einfach nicht fair. Es tut mir leid.«
»Geschenkt.«
Beylich schlägt ein und drückt meine Hand. »Ich hätte dir zu DDR -Zeiten
auch nicht vertraut. Du bist genau das, was wir uns immer unter einem
bourgeoisen Arschloch vorgestellt haben.«
»Und du
bist ’n oller Kommisskopp!«
Wir lachen,
und ich bin erleichtert. Gott sei Dank ist der Kerl nicht so sensibel. Was für
ein Theater Hünerbein gemacht hätte, wenn es um ihn gegangen wäre.
»Ich hab
mich schon gewundert«, erzählt Beylich, »denn vorhin bat mich Edmund zu sich
und wollte meine Waffe. Es sei so eine Art Vertrauensbeweis, sagte er, bis die
Lage sich beruhigt.«
»Und hast
du sie ihm gegeben?«
»Klar. Ich
brauche keine Waffe.« Beylich seufzt. »Im Übrigen macht mich der Putsch in
Moskau auch ziemlich fertig. Gorbatschow war schon auf dem richtigen Weg. Mit
seiner Perestroika und Glasnost. Wenn das jetzt die Militärs alles wieder
kaputt machen, schaden sie langfristig auch der kommunistischen Idee.«
Aha, denke
ich. Dann sollte ich wohl besser für den Putsch sein, wenn er endlich mit den
Kommunisten aufräumt, oder was?
»Ich weiß,
was du jetzt denkst.« Beylich tippt sich gegen die Stirn. »Du bist da genau so
ein Opfer des Kalten Krieges wie ich. Aber wenn wir erst mal begriffen haben,
dass eine gerechtere Gesellschaft nicht mit Zwang und Gewalt zu haben ist, sind
wir schon mal viel weiter.«
»Ich bin
mit unserer Gesellschaft eigentlich ganz zufrieden.«
»Ja.«
Beylich lacht. »Da haben wir noch ein ganzes Stück intellektueller Arbeit vor
uns, was?«
Genau das
ist das Problem. Diese Linken halten sich per se und grundsätzlich immer für
geistig und moralisch überlegen. Das liegt in der kommunistischen Ideologie
begründet, und das haben sie mit Christen, Juden, Muslimen und Buddhisten
gemeinsam. Sie alle glauben Erleuchtung gefunden zu haben in der Finsternis
unseres Seins. Interessante Theorie: der Kommunismus als fünfte Weltreligion.
Den letzten
Satz muss ich wohl laut ausgesprochen haben, denn Beylich schüttelt langsam den
Kopf.
»Nicht
mehr«, sagt er ernst. »Dafür ist zu viel schiefgelaufen. Aber irgendwann kommen
wir zurück. Das versprech ich
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