Kreuzberg
identisch«, frage ich aufgeregt, »ist das
dieselbe Sohle?«
»Könnte
sein«, murmelt Damaschke am anderen Ende der Leitung, »zumindest sind sie sich
ziemlich ähnlich.«
»Stimmen
die Schuhgrößen?«
»Ja, da
gibt es eine gewisse Übereinstimmung.« Damaschke misst offenbar gerade neu
nach, denn er braucht einen Moment dafür. »Bei den Abdrücken im Viktoriapark
und der Steffens-Wohnung sind beide gleich. Vierundvierzig. Und beim
Banküberfall, aber das siehst du ja selbst. Zweiundvierzig bis vierundvierzig,
war eben feucht und die Spur schon ziemlich verwischt, also quasi
unbrauchbar …«
»Ja oder
nein?« Ich bin ungeduldig. »Jürgen, ich brauche eine eindeutige Aussage!«
»Eindeutig«,
mault Damaschke, »du bist gut! Ich sage doch, die Spur vom Bankraub taugt nix.«
»Siebzig
Prozent?« Das mag er. Wenn man ihm mit Zahlen kommt, da steht Damaschke total
drauf. »Oder vielleicht sogar achtzig?«
»Eher mehr.
Wenn die Daten so stimmen«, antwortet er nachdenklich, »kannst von gut
fünfundachtzig Prozent ausgehen.«
»Jürgen, du
bist ein Schatz.« Ich lege wieder auf.
Und was
bringt mir das jetzt?
Die
Erkenntnis, dass der Bankräuber vom Mehringdamm mit fünfundachtzigprozentiger
Wahrscheinlichkeit knapp eine Woche später sowohl in der Wohnung von Swantje
Steffens als auch am Ort ihres gewaltsamen Todes war.
Kannte sie
den Täter? War dieser Bankraub vielleicht sogar eine Geheimdienstaktion? Eine
Art Geldbeschaffungsmaßnahme für Untergrundkämpfer?
Wurde
Swantje Steffens umgebracht, weil sie zu viel wusste?
Was geht
vor in dieser Stadt, überlege ich. Ich habe das Gefühl, als würden wir alle
völlig ahnungslos auf einem Vulkan sitzen, in dessen Inneren es mächtig
brodelt. Und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es zum Ausbruch kommt.
Im
Radio laufen Meldungen, dass Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Urlaub am
Wolfgangsee unterbrochen und eindringlich an die neuen Machthaber in Moskau
appelliert habe, Gorbatschow nichts anzutun. Die deutsche Einheit sei
unumkehrbar. US -Präsident Bush, Englands Premierminister John Major und
Frankreichs Präsident François Mitterand fordern die Putschisten auf, Panzer
und Militär umgehend aus der sowjetischen Hauptstadt abzuziehen. Blutvergießen
sei unter allen Umständen zu vermeiden. An den Börsen herrscht Panik, weltweit
gehen die Kurse auf Talfahrt.
Die
Kollegen schließen derweil Wetten ab, ob uns der BND tatsächlich die vom
Verfassungsschutz beschlagnahmten Akten zurückbringt. Hünerbein wettet dagegen,
Beylich dafür.
Ich wende
mich ab, spüre, wie das schlechte Gewissen an mir nagt. Ich hätte unseren Ex- VP -Major
nicht so denunzieren dürfen. Trotz des Putsches und aller möglicherweise
gerechtfertigten Bedenken. Ich hätte Beylich zunächst unter vier Augen sprechen
müssen, ihm meine Befürchtungen erläutern und ihm dann Gelegenheit geben
müssen, sich dazu zu äußern. Das wäre anständig gewesen.
Aber was
mache ich: Schwärze ihn bei Palitzsch an. Das ist weder fair noch kollegial.
Und wenn er
jetzt doch ein U-Boot des Kommunismus ist? Immerhin hält er nach wie vor und
unerschütterlich zu seiner ehemaligen Staatspartei, der SED -Nachfolgeorganisation PDS . Und wie hält die es mit den Russen?
»Können wir
eben noch mal über die Tochter reden?«
Verwirrt
schaue ich auf. Hünerbein und Beylich stehen vor mir.
»Was für
eine Tochter?«, frage ich.
»Fatma
Misirlioglu«, erinnert mich Hünerbein, »die Tochter des Blumenhändlers. Wir
müssen überlegen, wie wir da weitermachen.«
Stimmt,
denke ich, kann mich aber nicht wirklich konzentrieren, solange Beylich vor mir
steht.
»Es gibt ja
wohl inzwischen bei uns allen Zweifel an der Entführungstheorie«, redet er
drauflos. »Und als ich die Freundinnen von Fatma in der Villa Kreuzberg
befragte, verhielten die sich auch so merkwürdig. Vielleicht sollten wir da
noch mal nachhaken …«
»Wir müssen
uns unterhalten«, unterbreche ich ihn. Besser gleich reinen Tisch machen, sonst
kann ich mit dem nicht mehr vernünftig arbeiten.
Beylich und
Hünerbein sehen sich fragend an. »Unterhalten wir uns nicht gerade?«
»Unter vier
Augen.« Entschieden stehe ich auf. »Nur Egon und ich.«
»Ah.«
Hünerbein hebt beleidigt die Augenbrauen. »Ja, bitte, dann mach ich mal Platz.«
Er
watschelt, mit seinem dicken Hintern wackelnd, zurück zu seinem Schreibtisch
wie eine abgewiesene Matrone.
Beylich
guckt mich fragend an. »Was gibt’s denn?«
»Draußen«,
antworte ich.
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