Kreuzberg
Gewusel: provisorische Verkaufsstände, Bauchläden, rostige
Lieferwagen, Bullis, fliegende Händler und Schieber. Hier wurde mit allem
gehandelt, was der kleine Grenzverkehr so hergab: Schrott- und Buntmetalle,
alte Münzen, Kleidung aus postsozialistischer Produktion, Gartenzwerge,
Mausefallen, Tischfontänen, Militaria, gebrauchte Unterhaltungselektronik,
Bücher, Lexika, Pelze, Beutekunst, handgeschnitzte Schachspiele, selbst
bespielte Magnetkassetten und Videobänder, Schmuck, Glasperlen, Feuerholz,
Geschirr und Gläser, selbst bemalt und selbst geblasen, Notrufglocken,
Schiffspropeller, Räuchermännchen, Tinneff und Tand in jeder Form und Größe.
Selbst die alten Sessel ausrangierter Skilifte fanden hier ihre Käufer und
verrostete Helme der päpstlichen Schweizer Garde, es war einfach unglaublich.
Und selbstverständlich gab es unter der Hand auch Genussmittel wie Wodka und
Zigaretten, steuerfrei natürlich.
Monika
kam zu Fuß. Ihr Redaktionsbüro war nicht weit von hier in der Potsdamer Straße.
Meyer erhob
sich, winkte ihr zu.
Sie sah
wieder toll aus. Enge Jeans, T-Shirt, das lange Haar zum Pferdeschwanz
gebunden. Und wie sich ihre Stirn umwölkte, als sie Meyer erkannte. Einfach
hinreißend. Mit von langen Wimpern verschatteten Augen sah sie ihn an.
»Was ist
los, Siggi?«
»Gehen wir
ein Stück.« Meyer nahm sie am Arm und schob sie durch das dichte Gedränge des
Polenmarktes. Mit wenigen Worten machte er ihr seine Situation klar, freilich
ohne die erschossenen Russen und die geplante Flucht des HVA -Chefs
aus Moskau zu erwähnen.
»Ich habe
einfach zu hoch gepokert«, schloss er seinen Bericht, »und nun sitze ich in der
Falle.«
»Wann hörst
du endlich auf, ein doppeltes Spiel zu spielen?«, rügte sie ihn.
»Ich bin
Kommunist«, verteidigte er sich. »Ich habe unsere DDR geliebt und verteidigt. Ich bin einfach nur mir selbst und meinem Land treu.
Was ist daran falsch?«
»Dein Land
gibt es nicht mehr. Du solltest das einfach mal akzeptieren.«
»Das tue
ich doch.« Meyer gestikulierte. »Deshalb habe ich mich überhaupt auf ein
Gespräch mit dieser Cordula eingelassen. Und jetzt ist sie tot.«
»Eine BND -Agentin,
sagst du?« Monika sah ihn von der Seite her skeptisch an.
»Ja und
nein.« Meyer seufzte. »Das ist ein bisschen kompliziert. Vielleicht war sie auch
beim Verfassungsschutz oder dem Militärischen Abschirmdienst, wir reden ja
nicht offen darüber in unserer Branche. Klar ist nur, dass sie früher bei uns
im M f S diente. Und dass sie verhindern wollte, dass der Putsch in Russland
Auswirkungen auf Deutschland hat.«
»Was heißt
das im Klartext?«
»Sie wollte
Informationen über ein Treffen, dass ich in der sowjetischen Botschaft hatte.
Ich hab versprochen zu liefern. Aber irgendwer muss das spitzgekriegt haben.
Deshalb wurde sie ausgeschaltet.«
»Und jetzt
sind sie hinter dir her.«
»Genau.«
Meyer blieb stehen und sah Monika eindringlich an. »Ich muss wissen, was sie
mit Cordula angestellt haben, bevor –«
»Und wie
soll ich dir dabei helfen?«
»Dieter ist
doch bei der Mordkommission«, raunte Meyer. »Vielleicht untersucht er den Fall.
Dann weiß er auch, wann und wie diese Cordula ums Leben gekommen ist, verstehst
du?«
»Cordula.
Und wie weiter?«
»Cordula
war nur ein Deckname.« Meyer holte tief Luft. Es war fahrlässig, diese
Informationen einfach weiterzugeben, aber was sollte er tun?
»Ihr
wirklicher Name ist Steffens«, sagte er schließlich, denn das hatte ihm Naumann
erzählt. »Swantje Steffens.«
Monika sah
mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne und strich sich eine Haarsträhne aus
dem Gesicht.
»Wird
schwierig«, sagte sie dann. »Dieter wurde heute morgen abgeholt.«
»Abgeholt?
Von wem?«
»Weiß
nicht.« Sie seufzte schwer. »Die Kerle haben sich nicht vorgestellt.«
Meyer rieb
sich verblüfft die Stirn. Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? War Dieter in
irgendwas verwickelt? Aber in was? Früher war er ja mal beim Verfassungsschutz
tätig gewesen, aber das war bekannt und eine Ewigkeit her.
Oder hatte
es tatsächlich damit zu tun, dass er im Mordfall Steffens ermittelte?
»Du hast
keine Ahnung, wer die Leute waren?«
Monika
schüttelte den Kopf.
»Wenn
Dieter sich meldet, muss ich das sofort wissen.«
»Gut. Wie
kann ich dich erreichen?«
»Nein. Ich
erreiche dich.« Meyer hatte es plötzlich eilig. »Bis später dann.«
Er nickte
ihr zu, schwang sich auf sein Rad und radelte, zwischen den Menschen
slalomfahrend, durch den
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