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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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kriminalistischen Arbeit«, beginnt er zu dozieren, »und
das heißt ›Effizienz‹. Warten ist nicht effizient. Vermutungen ebenso wenig.
Die einzige und erfolgreichste Möglichkeit, die Nadel zu finden«, er läuft vor
mir auf und ab, »denn nichts anderes ist unsere Arbeit: eine ständige Suche
nach der Nadel im Heuhaufen; die einzige Möglichkeit also, die Nadel zu finden,
ist, jeden Strohhalm einzeln umzudrehen und nach erfolgter Sichtung
beiseitezulegen. Mühsam, aber höchst effizient. Denn wenn kein Stroh mehr da
ist, bleibt nur noch die Nadel, die gesuchte.«
    Er bleibt
stehen und sieht mich an. »War das deutlich?«
    »Sehr
deutlich, Kriminaloberrat«, versichere ich, »ein nahezu perfektes Gleichnis.
Sie haben es ausgesprochen bildlich dargestellt.«
    »Fein,
fein.« Palitzsch stellt mir jetzt den etwa fünfzigjährigen Mann vor, der mit
ihm eingetreten ist. Ein drahtiger, gedrungener Typ in Jeansjacke, der etwas
verunsichert an der Tür stehen geblieben ist.
    »Dann
wenden Sie sich doch bitte jetzt dem Herrn Reinicke zu. Er sagte mir, Sie
hätten ihn sprechen wollen?«
    Ich muss
einen Moment nachdenken: Reinicke, wer war das noch mal? Fragend sehe ich ihn
an. »Lothar Reinicke?«
    »Derselbe«,
nickt er.
    »Dann
setzen Sie sich doch, bitte.« Ich deute auf einen Stuhl, und der Exehegatte von
Swantje Steffens nimmt umständlich Platz.
    Tja. Wie
anfangen? »Herr Reinicke, zunächst muss ich Ihnen eine traurige Mitteilung
machen.«
    »Also, viel
Erfolg.« Palitzsch steht an der Tür. »Bericht heute Abend, klar?«
    Ich nicke
ihm zu, und Palitzsch geht.
    Lothar
Reinicke sieht mich erwartungsvoll an. Er hat kleine braune Knopfaugen und ein
charismatisches, vierkantiges Gesicht. Irgendwie kommt er mir bekannt vor.
Gab’s da nicht mal so einen Fußballer?
    Netzer,
jetzt fällt es mir wieder ein, der legendäre Mittelfeldspieler der siebziger
Jahre. Europameister 1972, Weltmeister 1974. Lothar Reinicke hat eine gewisse
Ähnlichkeit mit Günter Netzer. Allerdings ohne dessen Markenzeichen. Die Haare
fehlen. Und zwar völlig. Lothar Reinicke ist ein Günter Netzer mit Glatze.
    »Ja, wie
gesagt«, fange ich noch mal an, »es gibt traurige Nachrichten für Sie. Ihre
geschiedene Frau ist in der Nacht vom Freitag zu Samstag tot aufgefunden
worden.«
    Reinicke
zeigt äußerlich keine Regung.
    »Wo?«,
fragt er nur.
    »Viktoriapark«,
antworte ich. »Tut mir sehr leid.«
    »Dann haben
die ganzen Frauen am Sonntag wegen ihr demonstriert?«
    »Ja, das
war zumindest der Anlass, wenn auch …«
    »Ist
sie …«
    »Nein«, ich
schüttele den Kopf, »ist sie nicht. Dieser in der Presse als Golgatha-Täter
bekannte Sexualverbrecher hat mit dem Tod Ihrer Frau nichts zu tun.«
    »Gut«,
nickt Reinicke, »dann weiß ich jetzt Bescheid. Vielen Dank.« Er will sich
erheben und zur Tür, doch ich halte ihn zurück.
    »Einen
Moment noch, Herr Reinicke. Sie können gleich gehen, aber zuvor habe ich noch
ein paar Fragen.«
    »Natürlich,
gern.« Er setzt sich wieder.
    »Wo waren
Sie denn in der Nacht von Freitag zu Samstag, so zwischen dreiundzwanzig und
ein, zwei Uhr?«
    Die Frage
ist der Klassiker. Jeder Ermittler stellt sie gern. Und meist stellen wir sie
auch im Duktus irgendwelcher Tatortkommissare – es geht gar nicht anders.
Mein Favorit ist Schimanski, obwohl alle sagen, dass ich mehr wie Haverkamp
rüberkomme. Oder Kressin. Erinnert sich noch jemand an Kressin, den Typen aus
den frühen Siebzigern mit Sportwagen und Lederjacke? Ganz so flott bin ich zwar
nicht unterwegs – und es wird auch nicht mehr flotter werden, jetzt wo ich
Familie habe …
    »Im Bett«,
antwortet Lothar Reinicke.
    »Zu Hause?«
    »Wo sonst.«
    »Und Sie
waren allein?«
    »Auch das.«
Er lächelt schwach. »Brauch ich ein Alibi?«
    Besser
wär’s, denke ich. »Herr Reinicke, wir wissen kaum etwas über Ihre Frau. Können
Sie mir sagen, was sie so gemacht hat in den letzten Tagen vor ihrem Tod?«
    »Phhh«,
macht er gedehnt. »Ich hatte ja auch kaum noch Kontakt zu ihr.«
    »Ja, aber
Sie haben sich vielleicht mal getroffen?«
    »Wo?«
    »Na, zum
Beispiel beim Yoga?«
    »Nee. Da
bin ich mittwochs«, erklärt Reinicke, »und Swanni donnerstags. Das hat die
Padma extra so eingefädelt.«
    »Wollte Ihre
Frau Sie nicht mehr sehen?«
    »Wie das
eben so ist zwischen Geschiedenen.«
    »Aber Sie
haben unter der Scheidung gelitten.«
    »Nicht mehr
als andere Männer.«
    »Wie kam es
denn zu der Scheidung?«
    »Ja Gott,
wie kommt es zur Scheidung. Man lebt

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