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Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Charlotte rechnete. Das Geburtsdatum war mit dem 18. Dezember angegeben. Die Geburt passte zu dem Zeitraum, in dem Elena laut Elisa im Kloster erkrankt war. Also war das Kind Ende März oder Anfang April 1790 gezeugt worden. Interessanter wäre es jetzt zu wissen, mit wem sich die keusche Nonne Deodata zu dieser Zeit getroffen hatte. Sie musste eine heimlich Liebschaft gepflegt haben. Die Nonnen führten lange kein so enthaltsames Leben, wie sie vorgaben.
    Plötzlich bedauerte Charlotte beinahe, in wenigen Tagen nach Süden aufbrechen zu müssen. Zu gerne hätte sie weiter nachgeforscht. Aber es war ja nur ihre Neugier, die sie drängte, es bestand derzeit keine Notwenigkeit, Elena mit ihrem Wissen zu konfrontieren. Nützlich genug war es allemal. Auch wenn sie noch nicht herausgefunden hatte, wer Antonias Vater war.
    Ihr zukünftiger Gatte nahm ihre Erkenntnisse mit einigem Interesse auf und lobte ihre Findigkeit. Was Kay Friedrich Kormann seiner Charlotte verschwieg, war, dass er, angeregt durch ihren Forschungseifer, ebenfalls die Kirchenbücher durchgesehen hatte und dabei auf einige bemerkenswerte Details zu Herkunft und Vergangenheit seiner Liebsten gestoßen war. Kurzzeitig war er versucht, die Verlobung zu lösen, aber dann entschied er sich anders. Einerseits waren Ehescheidungen nach dem neuen Gesetz einfach zu bewerkstelligen, und zum anderen wollte er den erwarteten Sohn und Erben nicht aus seiner Obhut lassen. Immerhin befand er es nützlich, gegenüber einer Frau von ihrem Charakter einige Unterpfande in der Hand zu haben.

Kästchen voll Erinnerungen
     
    Ach mich reißt die Erinnerung fort, ich kann nicht widerstehn!
Muss hinschauen nach Grabstätten, muss bluten lassen
Die tiefe Wund’, aussprechen der Wehmuth Wort:
Tote Freunde, seid gegrüßt!
    Die Erinnerung, Klopstock
     
     
    »Mesdemoiselles, sind Sie für die Expedition gerüstet?«, fragte Hermann Waldegg, der zu den beiden Mädchen getreten war, die in einer schattigen Laube im Garten saßen.
    »Herr Waldegg, ich mache gewaltige Rückschritte. Sehen Sie sich das nur an!« Antonia wies auf das bekleckste Bild.
    »Je nun, man könnte es zu einer neuen modischen Richtung erklären«, schlug er vor. »Aber nun solltet ihr beiden eure Tätigkeit unterbrechen. Ich würde gerne mein Versprechen einlösen und mit euch den Dom erklimmen.«
    Susanne faltete die Hände so fest im Schoß, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
    »Sie möchte nicht mitkommen, Herr Waldegg«, erklärte Antonia.
    »Nein, Fräulein Susanne?«
    »Nein. Doch. Ich komme mit. Ich bin nicht feige, Antonia!«
    »Ich weiß«, gab Antonia friedfertig zu. »Du bist sogar sehr mutig.«
    An diesem sonnigen Septembertag bestiegen sie den halbfertigen Südturm des viel geschmähten Doms. Die enge Wendeltreppe, die, wie Waldegg erklärte, früher von den Maurern benutzt wurde, konnten sie nur nacheinander erklimmen. Antonia stob vorweg, Susanne folgte zögerlich nach, und Waldegg musste sie immer wieder aufmuntern weiterzusteigen. Hoch oben, da, wo der mächtige alte Kran stand, der vor weit über zweihundert Jahren die behauenen Steine auf die obere Plattform befördert hatte, ließ sich Antonia schon den Wind durch die Haare wehen und betrachtete durch das verwitterte Maßwerk die Stadt weit unter ihr.
    »Wie hoch sind wir hier eigentlich?«, wollte sie wissen, als die beiden anderen eintrafen.
    »Gut hundertfünfzig Fuß über dem Boden. Und wenn es nach dem alten Baumeister ginge, würde dieser Turm noch weitere dreihundert Fuß in die Höhe wachsen.«
    Susanne hielt sich nahe an dem hölzernen Tretrad des Krans auf und wagte sich nicht an den Rand, während der Domherr ihnen die Mächtigkeit der Pfeiler erläuterte, über Blendbahnen und Gesimse, Laubfriese und die Kreuzblume sprach, die dereinst den Turmhelm krönen sollte. Er erklärte ihnen, wie der Kran funktionierte, wie die Steine mit dem Spreizwolf gefasst wurden, dann an ihrem Platz mit Eisenstiften verankert und die Fugen mit Blei ausgegossen wurden.
    »Hier seht ihr die Steinmetzzeichen«, wies er sie hin. »Mit diesen Kennzeichnungen versah man die großen, bearbeiteten Blöcke, damit sie an der richtigen Stelle eingesetzt werden konnten. Das hier ist kein schlichtes Mauerwerk, sondern hohe Baukunst. Jeder Stein hat seine im Plan vorgegebenen Form und seinen ganz bestimmten Platz.«
    »Woher weiß man denn, wie hier weitergebaut werden soll, Herr Waldegg? Sie scheinen ja eine ganz deutliche Vorstellung davon zu

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