Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
und lehnte sich gegen eine der Kutschen, um zu warten, wer denn doch mit ihm zu sprechen wünschte.
Es war seine Mutter, in ein dunkles Tuch gehüllt, die verstohlen zu ihm hineinhuschte.
»Cornelius, bist du es wirklich?«
»Ja, Mutter.« Sie sah ihn mit feuchten Augen an und strich über seine Wange. »Du siehst gut aus, mein Junge. Ich hatte befürchtet…« Sie drehte sich um und weinte hemmungslos. Tröstend legte er ihr den Arm um die Schulter.
»Ich bin seit über einem Jahr frei und habe eine lange Reise unternommen. Ich bin gesund, Mutter, und ich habe eine Menge dazugelernt. Ich weiß, dass ich euch Schande bereitet habe. Es tut mir leid.«
Die Freiin von der Leyen wischte sich über die Augen und sah ihren Sohn an. »Er hat dich enterbt und aus der Familienbibel gestrichen. Er hat mir verboten, dich zu sehen.«
»Ich hatte sowieso nicht viel zu erwarten, Mutter. Der Erbe ist doch Michael.«
»Michael ist gefallen, bei Austerlitz.«
»O Gott, das tut mir so leid.« Es tat Cornelius jedoch mehr leid um seiner Mutter willen, zu dem älteren Bruder hatte er nie ein glückliches Verhältnis gehabt. »So ist Hans Christian nun der Titelanwärter. Er wird das gut machen. Ist er immer noch so ein widersetzlicher kleiner Rabauke?«
»Er ist dir in manchen Zügen recht ähnlich, aber klein ist er nicht mehr. Ich habe, trotz des Verbotes deines Vaters, je wieder deinen Namen auszusprechen, versucht, bei ihm die Erinnerung an dich aufrechtzuerhalten. Verrate mir, wo du jetzt hingehst. Ich... Mein Gott, du bist doch mein Kind!«
»Deines ja, Mutter, seines nicht. Ich gehe zu meinem Paten. Ich hoffe, ich finde ihn noch in Köln.«
»Ja, Waldegg lebt noch dort. Geh zu ihm, Cornelius. Er ist dir wohlgesinnt. Mehr, als du denkst.«
»Mehr als ich verdient habe, wolltest du andeuten.«
»Nein, Cornelius...«
Die Tür wurde aufgerissen, mit der Peitsche in der Hand trat der Freiherr ein und zischte: »Raus hier. Ich dulde kein verbrecherisches Gesindel auf meinem Hof!« Mit einem rauen Griff riss er seine Frau von Cornelius weg und stieß sie in die Ecke.
»Das Gesindel wird sich Ihrem Blick sofort entziehen, wohledler Herr. Aber wenn Sie noch einmal meine Mutter derart ungehörig behandeln, Freiherr, dann werde ich das erfahren und Sie zur Rechenschaft ziehen!«
»Halt’s Maul und verschwinde, bevor ich mich vergesse!«
Cornelius beugte sich jedoch über seine Mutter und half ihr aufzustehen. Sie flüsterte: »Geh, mein Junge, schnell!«
»Leb wohl, Mutter.« Mit einem sanften Kuss wollte Cornelius sich von ihr verabschieden, als er die Peitsche durch die Luft pfeifen hörte.
Er hatte das Überleben unter härteren Bedingungen gelernt. Mit seinem Körper schützte er die erschrockene Frau, drehte sich aber so, dass ihn der Hieb nur an der Schulter streifte. Dann riss er dem Freiherrn die Peitsche aus der Hand.
»Seien Sie froh, dass ich meine Gefühle beherrsche. Sonst würden Sie die letzten Tage Ihres Lebens Brei mümmeln, alter Mann«, schnurrte er leise und ging an dem Gatten seiner Mutter vorbei. Die Peitsche warf er in den Brunnen, machte die Zügel los und ritt durch das Tor, ohne sich noch einmal umzusehen. Doch die ruhige Haltung hielt nur wenige Schritte vor. Lodernde Wut überkam ihn, als er die Felder erreichte. Mit einem Aufschrei trieb er sein Pferd zu einem wilden Galopp an. Ein Wassergraben wurde ihm zum Verhängnis. Das Tier, zwar kräftig und mit seinem Reiter vertraut, sprang darüber, landete aber zu kurz. Er flog aus dem Sattel, prallte hart auf dem steinigen Boden auf und rollte in die Senke. Bewusstlos blieb er in dem kalten, schlammigen Wasser liegen, während das Pferd geduldig an den ersten grünen Halmen zu grasen begann.
Es dämmerte schon, als Cornelius aus seiner Benommenheit erwachte. Er kroch frierend und steif aus dem Matsch und schüttelte sich. Hinkend schleppte er sich zu seinem Pferd und suchte in den Satteltaschen nach seiner zweiten Jacke. Das trockene Kleidungsstück half nicht viel gegen die Unterkühlung, aber er biss die Zähne zusammen und stieg wieder auf. Er wünschte sich nichts mehr als ein warmes Lager und etwas Heißes zu essen. Obwohl sein ehemaliges Heim die nächste Behausung in der Gegend war, wollte er dorthin auf gar keinen Fall zurückkehren. Zwei Meilen weiter fand er eine Schafhürde, in der er sich erschöpft zusammenrollte.
Am Morgen erwachte er mit Schüttelfrost und Fieber, dennoch machte er sich auf den Weg nach Köln. Seine Kleider waren
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