Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Flirterei.
Der Abend verlief im Großen und Ganzen harmonisch, und gegen Mitternacht löste sich die Gesellschaft auf.
»Hermann, schenk uns noch ein Glas Champagner ein«, bat Elena, die sich erschöpft auf das Kanapee setzte und die Beine hochlegte. Antonia löschte den Großteil der Lampen und ließ sich in einen Fauteuil fallen. Dankbar nahm sie das Glas mit dem perlenden Getränk entgegen.
»Gut überstanden haben wir das«, erklärte Waldegg und hob sein Glas. »Auf euch, meine tapferen Damen!«
Antonia fühlte eine schwebende Leichtigkeit, die Wirkung von Champagner, schmeichelhafter Aufmerksamkeit und leichter Müdigkeit versetzten sie in eine ungewohnte Stimmung. Sie fühlte sich wohl bei ihren neuen Eltern, allen Vorbehalten zum Trotz. Darum wagte sie, im schummrigen, traulichen Licht des endlich einmal etwas unordentlichen Salons die Frage zu stellen, die es sie schon lange drängte auszusprechen:
»Frau Mutter, bitte, es ist heute mein Geburtstag. Können Sie mir nicht endlich sagen, wie es eigentlich dazu kam, dass ich Ihre Tochter wurde?« Und wenn auch sonst der Domherr immer seine Frau in Schutz nahm und ihr ebenfalls diese Frage nie zu stellen gewagt hatte, diesmal nickte er dazu und meinte: »Ja, Elena. Antonia hat ein Recht darauf.«
Elena erhob sich und räumte mit hastigen Bewegungen leere Gläser auf ein Tablett. Dann fing sie sich und setzte sich, ein rosenbesticktes Kissen in den Händen knetend, wieder hin. »Ja, sie hat ein Recht darauf. Aber es ist schwer für mich. Ich habe so lange darüber geschwiegen.« Sie seufzte. »Ich habe große Schuld auf mich geladen. Es nimmt mich noch immer wunder, dass man es mir zu verzeihen scheint.«
»Es gibt auch auf dieser Welt Gnade und Barmherzigkeit, Elena. Und ich bin mir sicher, die Größe deiner Schuld überschätzt du bei Weitem.«
»Ich weiß nicht, es ist kompliziert.« Sie legte auf einmal resolut das Kissen zur Seite, trank noch einen Schluck Champagner und begann: »Ich war achtzehn, ein Jahr zuvor hatte ich meine Gelübde abgelegt. Es hat mich niemand gezwungen, ins Kloster einzutreten, obwohl wir drei Töchter waren. Ich wollte es so. Ich wollte mein Leben dem Glauben widmen. Er offenbarte mir so viele Wunder.« Sie sammelte sich wieder und fuhr dann mit ihrer Erklärung fort.
Im März 1790 hatte sie sich selbst zur Zucht eine Nachtwache in der Klosterkirche auferlegt und verbrachte die dunklen Stunden betend vor dem Altar der heiligen Ursula. Zu dieser Heiligen verspürte sie ein besonders inniges Verhältnis, ihre Gebete erschienen ihr tröstlich wie Zwiesprache mit einer guten Freundin. Ausgerechnet in dieser Nacht hatte sie ihren Zweifeln Ausdruck verliehen. Sie war jung, und in der letzten Zeit kam ihr die Bürde der Keuschheit schwer vor. Sie schreckte davor zurück, ein ganzes Leben ohne die Liebe eines Mannes verbringen zu müssen. Aber sie war auch eine konsequente junge Frau, die den einmal gewählten Weg nicht einer Laune wegen verlassen wollte. Also vertraute sie sich der standhaften Jungfrau Ursula an und bat um ein Zeichen, wie sie mit ihren Zweifeln weiterleben sollte.
»Ich hätte es wissen sollen, Antonia. Meine Wünsche werden leider oft buchstäblich erfüllt«, erklärte Elena und drückte das Sofakissen wie zum Schutz an ihre Brust. Dann berichtete sie weiter.
Die Kirche war dunkel gewesen, nur das Licht auf dem Altar spendete eine kleine, aber stetige Helligkeit. Sie war sehr vertieft in ihr Gebet, und so bemerkte sie erst, als das Flämmchen zu flackern begann, dass jemand durch die Kirche lief. Zu Tode erschrocken schrie sie auf und wurde so entdeckt. Ein Mann drehte sich zu ihr um. Er starrte sie überrascht an, fasste sich aber und bat: »Helfen Sie mir, ehrwürdige Schwester. Ein Mörder verfolgt mich. Asyl erbitte ich!«
Sie sah, dass er seinen linken Oberarm umklammert hielt und Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll.
»Es schien mir wie das erbetene Zeichen. Ein Mann war zu mir gekommen, ein junger, gut aussehender Mann in Not. Ich führte ihn in die Sakristei, weil es dort Wasser gab, half ihm aus dem Rock und verband seine Wunde mit dem Leinen aus meinem Untergewand. Er erzählte mir, er sei bei einem Disput in einer Versammlung für Gleichheit und Freiheit eingetreten. Es habe sich die Stimmung erhitzt, Tätlichkeiten folgten, und er wurde nun für seine Überzeugung verfolgt. Es kam mir entsetzlich romantisch vor. Er bat mich, für ihn zu beten und... Ja, er kniete vor mir und barg seinen
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