Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Nachen, in dem David und Cornelius saßen. Hastig zog sie die Füße aus dem kalten Nass, nahm Schuhe und Strümpfe in die Hand und lief barfuß in Richtung der Gesellschaft.
Sie sah nicht die Tränen des Laurentius vom Himmel tropfen.
Hermann und Elena hatten es sich in zwei nebeneinanderstehenden Liegestühlen gemütlich gemacht und lauschten einträchtig dem schläfrigen Gesang der letzten Vögel. Der Domherr hielt die Hand seiner Frau in der seinen und hatte ein stilles Lächeln auf den Lippen.
»Du bist glücklich, Hermann«, flüsterte Elena.
»Ja, Liebes, ich bin glücklich. Ganz unbeschreiblich glücklich. Sie werden alle ihren Weg machen. Ich sehe es vor mir. Alle drei, Elena, haben sie Prüfungen bestanden, die andere Menschen vernichtet hätten. Alle drei sind sie jedoch stärker und selbstbewusster daraus hervorgekommen. Es wird sie nichts so leicht mehr erschüttern.«
Doch Elena konnte dem nicht so enthusiastisch zustimmen. Zum einen sorgte sie sich ständig um die Gesundheit ihres Mannes. Er sah gut erholt aus, hatte eine erstaunliche Energie an den Tag gelegt, um Cornelius und David gesetzlich als seine Söhne anzuerkennen. Aber sie hatte auch mit dem Arzt gesprochen, und der konnte nicht ausschließen, dass sein krankes Herz nicht doch wieder Mucken machen würde. Zum anderen trug sie schwer an einem Wissen, das, soweit es sie betraf, nie an das Licht der Öffentlichkeit gelangen durfte. Obwohl sie in den vergangenen Wochen eine wohlgelaunte Fröhlichkeit verspürte und sich auch nicht scheute, sie zu zeigen, hatte das alte Schuldbewusstsein wieder von ihr Besitz ergriffen. Nur wenige Monate hatte sie sich frei davon gefühlt. Doch sie hatte gute Übung darin, sich nichts von ihren inneren Befürchtungen und Qualen anmerken zu lassen. Selbst ihr Gatte wäre nicht im Traum darauf gekommen, sie könne ein dunkles Geheimnis mit sich herumtragen. Dass Cornelius und David dennoch gespürt hatten, dass eine Last auf ihrer Seele lag, ahnte Elena nicht. »Schau, da kommen François und Antonia zurück«, machte sie den Domherrn aufmerksam.
»Er sieht enttäuscht aus, soweit ich das erkennen kann. Hätte seine Bewerbung Erfolg gehabt, wären seine Schultern jetzt straffer.«
»Er wäre ein passender Gatte für sie.«
»Vielleicht. Ich bin mir seiner Vorzüge bewusst, Elena. Aber ich fürchte, ich kenne auch seinen Nachteil.«
»Ich kann keinen Mangel an ihm entdecken.«
»Doch, Elena. Den Mangel an Leidenschaft. Er ist ein besonnener Mann, ein willensstarker und redlicher Mensch. Er würde ihr die Welt zu Füßen legen. Aber Antonia gehört zu denen, die die Welt lieber mit eigenen Händen erobern möchten. Der Mann, mit dem sie sich einst verbindet, wird ihr darin ebenbürtig sein müssen. Sie ist noch sehr jung. Ich hoffe, ich erlebe es noch, wenn sie ihn erkennt.«
»Sie ist an Jahren sehr jung, Hermann, aber manchmal erscheint sie mir älter, als ich es bin.«
»Meine Liebe, sie erscheint mir oft älter als ich. Ein interessantes Kind hast du da geboren. Ich glaube, sie wird die Welt nicht nur erobern, sie wird sie, im Gegensatz zu gewissen Eroberern, auch in ihren Händen zu halten wissen.«
Elena waren solche Gefühle fremd, sie wollte nichts erobern und nichts halten, sie wollte Frieden für sich, ihren Mann und ihr Kind. Sie hoffte inständig, ihnen möge das auf lange Zeit vergönnt sein. Aber der Schatten in ihrer Seele mahnte sie, dass dieser Frieden nur von kurzer Dauer sein würde. Sie wandte sich ab, um ihren geliebten Ehemann nicht mit den Tränen zu beunruhigen, die ihr in den Augen brannten.
Und vom Himmel tropften die Tränen des Laurentius.
Schicksalhafte Erinnerung
Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen,
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
dass williger mein Herz, von süßem
Spiele gesättigt, dann mir sterbe!
An die Parzen, Hölderlin
In der ersten Septemberwoche weihten sie die Druckerei ein. Susanne, Antonia und Amalie, Thomas Lindlars junge Frau, hatten eine Girlande geflochten und um die Eingangstür drapiert, über der das glänzend neue Schild mit dem Aufdruck »Druckerei und Verlagshaus L&W« prangte. Neben der Druckerpresse standen Kühler mit Champagnerflaschen und Jakobas unvergleichliche Marzipantorte, die sie in Form eines Buches gebacken hatte. Der Domherr und Elena kamen mit einem weiteren Korb voller Köstlichkeiten, und die beiden Stifte leckten sich begehrlich die Lippen. Insgesamt waren in der Druckerei sechs Personen
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