Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
von ihm gewählte Aufgabe zu erarbeiten. Den Lorbeer, der den Ruhm bedeutete, betrachtete er nur kopfschüttelnd. Nach Ruhm strebte er nicht. Erfolg in gewissem Maße empfand er als befriedigend, persönlichen Ruhm lehnte er strikt ab. Blieb das Schwert – die Macht. Hierüber hatte er noch am Vorabend mit Antonia eine hitzige Diskussion geführt. Auch Macht wollte er nicht erlangen, behauptete er, und sie hielt ihm entgegen, Macht brauche er nicht anzustreben, Macht müsse er lediglich erhalten. Denn er besitze sie bereits. Es hatte ihn verblüfft, sie das sagen zu hören, aber auf ihre direkte Weise erklärte sie ihm ihre Meinung. »Cornelius, du hast Macht, weil du unabhängig bist. Du beherrschst dein Metier, du hast eine breite Weltkenntnis und Bildung, und du hast gelernt zu kämpfen. Macht, glaube ich, ist nicht das Gebieten über Heerscharen, Arbeitskräfte oder finanzielle Mittel, sondern die Fähigkeit, sich frei zu entscheiden. Das kannst du, weil du dir deine innere Freiheit erkämpft hast. Du verlierst sie, wenn du dich Zwängen und Abhängigkeiten unterwirfst, wenn du dein Wissen nicht auf dem neuesten Stand hältst und«, das fügte sie mit einem Grinsen hinzu, »wenn du schwammig, lahm und fett wirst.«
Er wog das Schwert in seinen Händen. Gestern hatte er gelacht, aber jetzt, als er das Symbol der Macht greifbar in den Händen hielt, musste er ihr zustimmen. Ja, er hatte eine ganz persönliche Art von Macht gefunden. Auf dem langen Weg über Leichtfertigkeit und Egoismus, Demütigung und Überlebenskampf, über Selbsthass und Orientierungslosigkeit war er zu Zielstrebigkeit, Stärke und Vertrauen gekommen. Mit Hilfe von Freunden, manchmal auch Fremden. Und von seinem Vater. Er wollte nicht so weit gehen zu behaupten, er habe sogar Güte gelernt. Aber er hatte auf jeden Fall verstanden, dass er anderen etwas zu geben hatte. Erhalten, hatte Antonia gesagt. Erhalten solle er seine Macht, und das bedeutete tägliche, immer wiederkehrende Arbeit. Das war die Erkenntnis, die er in dieser stillen Stunde erhielt.
Er war bereit, diese Anstrengung auf sich zu nehmen. Nicht für die freimaurerischen Brüder, sondern damit er vor ihr bestehen konnte.
Joubertin, der Ältere, trat in die Kammer, um ihm die drei rituellen Fragen zu stellen, und nickte zustimmend, als er sie unumwunden beantwortete. Dann wurde er hinausgeführt und musste vor dem Meister des Stuhls sein Gelöbnis ablegen, übernahm die ihm zugemessene Rolle in dem folgenden Gesellenritual, bei dem ihm die Abzeichen seines neuen Standes überreicht wurden und ein Paar weißer Handschuhe, die er der Dame seiner Wahl zu überreichen hatte. Es folgten noch einige zeremonielle Handlungen und Lieder, dann war dieser Part endlich abgeschlossen, und man ging zu dem formloseren Teil des Abends über.
Hierzu hatte man ihn gebeten, eine Rede über ein für ihn bedeutsames Symbol vorzubereiten, mit der er seine Ziele und Gesinnungen darstellen sollte. Er trat also an das Pult im Versammlungsraum und begann: »Im Angedenken an meinen Vater, den Domherrn Hermann Waldegg, habe ich als Gegenstand meiner Ausführungen den Kölner Dom gewählt. Er hat sein Leben dieser Kathedrale verschrieben, und ich habe sein Erbe angetreten. Darum, meine Brüder, will ich Ihnen an dieser Stelle vortragen, in welchem Licht ich das im Augenblick nicht sehr ansehnliche Gebäude sehe.«
Es ging ein Raunen durch die Zuhörer. Das Thema war gewagt, die Meinungen dazu durchaus konträr. Nur strikteste Disziplin, vom Meister des Stuhls befohlen, hielt die Männer zurück, als Cornelius in seiner Rede fortfuhr. Denn er hatte einen unerwarteten Gedankenweg eingeschlagen.
Er sprach zunächst über die Bedeutung Kölns, einst als blühende Römerstadt, dann ihren Untergang, darauffolgend ihr Wiedererstarken als heiliges Köln und Pilgerstadt, als weltoffene Handelsmetropole im Mittelalter, dann ihren zweiten Niedergang in der Reformationszeit, der vor allem durch die Engstirnigkeit und Intoleranz der Bewohner hervorgerufen worden war. Man hörte das nicht gerne. Man hörte auch nicht so sehr gerne, der neue Aufstieg sei durch die französische Einwirkung ausgelöst worden. Noch ungnädiger aber nahm man seine Worte auf, als er sich dem Dom widmete und dabei von der Gotik sprach, die nicht, wie man allenthalben begonnen hatte, sich gegenseitig zu versichern, eine rein deutsche Baukunst sei, sondern ihren Ursprung in Frankreich hatte, und selbst in Spanien und England lange vor dem
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