Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
aussehen?«
»Gewöhnlich alle jungen Mädchen. Und du bist hübsch.«
Das war die vierzehnjährige Antonia wirklich. Ihre als Kind hellblonden Haare waren zu einem warmen Altgold nachgedunkelt, doch die Sonne und Antonias Angewohnheit, auf eine Kopfbedeckung zu verzichten, ließen helle Lichter darin aufblitzen. Ihr glattes, fein geschnittenes Gesicht entsprach zwar nicht dem rosenmundigen Schönheitsideal, sondern wies beinahe strenge Züge auf, jetzt, da der Kinderspeck langsam zu schwinden begann. Sie hatte eine gerade Nase, einen breiten Mund und ein energisches Kinn, aber alles von der rechten Proportion. Am reizvollsten aber waren ihre schönen, graublauen Augen, die sie freimütig und ohne Koketterie auf jedes Objekt ihrer Wissbegier heftete. Als Junge ging sie noch glaubhaft durch, als Mädchen würde sie einiges Aufsehen erregen.
In Darmstadt hatte Elisabeth bald ein Häuschen gefunden, das sich für ihre Pläne eignete. Doch die gewünschte Lehrstelle bei einem Buchhändler bekam Antonia nicht, es war zu optimistisch gewesen anzunehmen, die ehrenwerten Herren Buchhändler würden einen weiblichen Lehrling in ihr heiliges Wissen einweisen. Also arbeitete sie im Frühjahr und im Sommer noch im Laden mit, aber im Herbst hatte sich der Besitzer eines Antiquariats bereiterklärt, Toni als Gehilfin einzustellen. Anfangs war sie stolz darauf gewesen, in den mit alten Büchern und Folianten vollgestopften Räumen Ordnung zu schaffen und Inventarlisten zu führen. Aber zum Lesen kam sie selten. Der Besitzer des Ladens, Johannes Hintzen, war ein verschrobener, ältlicher Junggeselle, der sich mehr und mehr von ihr bedienen ließ. Gelegentlich aber durfte sie ihm auch in seinem Hinterstübchen helfen, unter seiner Anleitung zerschlissene Einbände zu reparieren, stockfleckige Seiten zu reinigen und eingerissene Blätter vorsichtig zu kleben.
Obwohl sie mehr Dienstmädchen als Gehilfin im Laden war, gab es manche neuen Dinge zu lernen. Den Wert der Ware einzuschätzen beispielsweise. Bald erkannte sie auf den ersten Blick, ob es sich um ein abgegriffenes, durch viele Hände gegangenes Lehrbuch handelte, einen gern gelesenen Roman, eine kaum geöffnete Erstausgabe oder eine geliebte Gedichtsammlung, aus der nicht selten ein gepresstes Blümchen oder ein zerknitterter Liebesbrief fiel. Dann und wann entdeckten sie sogar wahre Juwelen. Es waren viele alte Bücher auf den Markt geschwemmt worden, seit die Klöster und Stiftsbibliotheken aufgelöst worden waren. Darunter einmalige alte Handschriften, oft ihrer kostbaren Einbände beraubt, aber dennoch wertvoll. Nicht selten schob sie ein solches Werk in die Nähe des Fensters, um die farbenprächtigen Miniaturen zu bewundern, die kunstvoll ausgestalteten Initialen, die Ornamente und Rankwerke und selbst die sorgsame Schrift. Gelegentlich ließ sich Johannes Hintzen sogar dazu herab, ihr das eine oder andere zu erläutern. Sie lernte gewisse Stile zu unterscheiden und das ungefähre Alter zu schätzen. Sie erfuhr, da sie die Inventarlisten zu führen hatte, auch einiges zu der Herkunft der Bücher. Da sie zudem seine Korrespondenz führte, wusste sie, dass der landgräfliche Hof immer bevorzugt die kostbarsten Stücke angeboten bekam. Es überraschte sie nicht.
Was sie überraschte, war der Inhalt einer Kiste, die sie eines Nachmittags öffnete. Sie enthielt, neben zwei speckigen, billigen Bibeln und einem mit bedenklichen Stichen versehenen erotischen Werk, einige ihr höchst bekannte Pergamentseiten. Die Bindung hatte sich gelöst, das Vorblatt fehlte, Feuchtigkeit hatte das feine Pergament stellenweise aufquellen lassen. Hastig blätterte sie die Seiten durch. Es war kein Irrtum – da, wo sich das Bild der heiligen Ursula hätte befinden sollen, fehlte ein Blatt.
Da sie inzwischen den Wert dieser Handschriften sehr wohl einzuschätzen wusste, packte sie das schlechte Gewissen. Sie nahm sich fest vor, am nächsten Tag die vor drei Jahren entwendete Miniatur unauffällig wieder zurückzulegen.
»Was hast du denn da gefunden, Antonia?«
Sie zuckte zusammen, als Johannes Hintzen ihr über die Schulter blickte.
»Das war in der Kiste, die gestern kam, Herr Hintzen. Viel wertloser Kram, aber das hier …«
»Nicht schlecht. Das ist wertvoll. Frühes Mittelalter, würde ich vermuten. Ein Stundenbuch.« Mit spitzen Fingern hob er die Bogen heraus und sah sie durch. »Nicht mehr vollständig, etwas angegriffen, feucht geworden und sogar schimmelig. Aber die Farben sind
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