Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Angesprochene zu ihm hoch.
»Klar, dass du das nicht tust. Verpiss dich! Das verstehst du, oder?«
»Natürlich. Ich würde nicht versuchen abzuhauen. Obwohl ihr die Kette schon fast durchgefeilt habt.«
»Was geht dich das an?«
»Nichts.« Cornelius wandte sich grußlos ab, spürte aber ihre Blicke in seinem Rücken. Wie auch immer, er hatte gehofft, von ihnen irgendetwas über die Situation zu Hause zu erfahren. Seit einiger Zeit hatte sich die Sehnsucht nicht mehr mit Disziplin und Anstrengung zurückdrängen lassen, in seinen Träumen war er dem Heimweh und dem Wunsch nach einem Leben in Freiheit hilflos ausgeliefert. Darum hatte er schließlich beschlossen, seine selbst gewählte Schweigsamkeit zu beenden und wieder Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen. Aber das Misstrauen dieser Männer war tiefer, als er gedacht hatte. Obwohl Cornelius weiter beobachtete, wie sich die Männer ihrer Ketten annahmen, ihren Nachforschungen nachgingen und sich allerlei kleine Dinge beschafften, verriet er sie nicht an die Aufseher.
Zwei Wochen später war es so weit. In der Nacht hatten sich die beiden Verschlagenen davongemacht. Am Mittag waren sie wieder da, blutend und mit zerrissenen Kleidern. Sie wurden am Tor des Bagnos auf Fässer gesetzt, mit dem Schild um den Hals, auf dem die Worte »entwischt und zurückgebracht« standen. Die brutale Prügelstrafe am nächsten Tag erlitten sie schreiend, bis sie zusammenbrachen. Danach steckte man sie einzeln in fensterlose Zellen. An diesem Abend bemerkte Cornelius, wie der Rothaarige seinen Blick suchte. Er ließ sich Zeit, schlenderte dann aber später zu ihm hinüber.
»Die Bevölkerung hier erkennt die Kettensträflinge. Sie schätzen uns nicht sonderlich«, erklärte er unaufgefordert.
»Sie hätten warten sollen. Warum bist du noch hier?«
»Weil’s mir so gut gefällt.«
»Klar.« Weiterhin misstrauisch wollte er sich abwenden, als einer der Aufseher vorbeikam und Cornelius barsch fragte, was er mit den Männern zu reden hatte.
»Ihnen erklären, warum sich ein Ausbruch nicht lohnt.«
»Das haben sie jetzt gesehen. Halte dich von ihnen fern, sechshundertvierundneunzig. Du willst doch an der gebrochenen Kette bleiben.«
Cornelius zuckte mit den Schultern. Es war ihnen nicht verboten, miteinander zu sprechen. Aber die Aufseher ließen gerne ihre Macht spielen.
»Was wollte er?«, fragte der Rothaarige, als der Franzose gegangen war.
»Mich warnen. Vor euch Idioten.« Wieder wandte sich Cornelius ab und zog sich schweigend auf seine Pritsche zurück. Allerdings sah er, wie die beiden aneinandergeketteten Häftlinge leise miteinander sprachen. Er schloss die Augen und versuchte, sich wieder mit einem der langen Texte abzulenken, die er und Pierre auswendig rezitiert hatten. Es wollte ihm nicht gelingen. Vielleicht war es der vertraute Klang der Muttersprache mit ihrem Dialekt, vielleicht etwas im Gebaren und Blick des Rothaarigen, das ihn berührte. Der Mann war nicht dumm, und er hatte etwas Verwegenes an sich. Seine Art, sich in einer fremden, feindlichen Umgebung sowohl kleine Erleichterungen zu verschaffen als auch so viel an Information zu erhalten, um beinahe zu entkommen, mochte Schlitzohrigkeit sein, aber es sprach ebenso von einem starken Überlebenswillen und von Anpassungsfähigkeit. Einst hatte Pierre wohl etwas Ähnliches in ihm gesehen und ihm geholfen, nicht in die dumpfe Verblödung abzusinken, wie viele Häftlinge es taten. Ihm konnte er nicht mehr danken, aber er hatte den Wunsch, anderen zu helfen. Darum folgte er dem auffordernden Wink des Rothaarigen am nächsten Abend.
»Wie hast du das geschafft, von der Kette zu kommen?«, wollte er sofort wissen. Cornelius zeigte ihm ein böses Grinsen.
»Mein Partner ist gestorben.«
Die beiden Männer an ihrer Kette sahen einander fassungslos an. »Hast ihn mackabert 5 ?«
»Wird schon so sein.«
Ein kalter, abschätzender Blick streifte Cornelius. »Glaube ich nicht.«
»Nein?«
»Du siehst nicht aus wie ein Mörder.«
»Nein?«
Jetzt grinste der Rothaarige und stellte sich vor: »Ich heiße Mathias, und der Junge da ist Willi.«
»Cornelius.«
»Wie bist du nun wirklich die Kette losgeworden?«
Cornelius setzte sich zu ihnen auf die Pritsche und erläuterte ihnen die Regeln des Bagnos.
»Scheiße!«, war Willis Kommentar, dem die Aussicht, durch Gehorsam und harte Arbeit Vergünstigungen zu erlangen, nicht besonders behagte. Mathias hingegen war nachdenklich geworden.
»Du bist kein
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