Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
gut erhalten.«
»Wer brachte die Kiste, Herr Hintzen? Vielleicht kann man über den Verkäufer mehr herausfinden.«
Hintzen gab ein verächtliches Grunzen von sich.
»Der Hausknecht von der ›Traube‹. Haben ihren Speicher aufgeräumt. Weiß der Teufel, wie das da hingeraten ist.«
Antonia hätte zumindest einen vagen Hinweis geben können, unterließ jedoch jegliche Bemerkung. Hintzen nahm die Blätter an sich und brachte sie zur weiteren Begutachtung in sein Hinterzimmer. Antonia sah sie nicht wieder, und die Gelegenheit, die entwendete Seite zurückzugeben, ergab sich nicht mehr.
Räubergeschichten
Ein kesses Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne.
Bei Hollmusch Lein marschieren wir,
Knackert ist unser Nachtquartier,
Gallon ist unsre Sonne.
Rotwelschlied 1
Cornelius legte das sorgfältig gedrechselte Tischbein zur Seite und reckte sich. Nach nunmehr sechs Jahren Kettenstrafe war er ein überaus hagerer, aber zäher Mann von nicht ganz dreißig Jahren. Seine unregelmäßigen Züge waren hart geworden von karger Ernährung und anstrengender körperlicher Arbeit. Und ausdrucksloser denn je. Immerhin war er von schwereren Krankheiten als gelegentlichen Erkältungen und Anfällen von Ruhr verschont geblieben. Er hatte einige Privilegien erhalten, dank seiner stoischen Art, jede auferlegte Pflicht zu erfüllen. Aufgegeben hatte er es inzwischen vorzutäuschen, er verstünde die französische Sprache nicht. Sein Geschick in der Bearbeitung von Holz hatte ihn vor einigen Monaten in die Tischlerei gebracht, wo die Möbel für die Schiffe hergestellt wurden. Der Tischlermeister, der die Aufsicht über die Werkstatt hatte, war nicht unfreundlich und brachte ihm einiges über sein Handwerk bei.
Den Mithäftlingen gegenüber war Cornelius als wortkarg und unzugänglich bekannt, und es suchte niemand seine Gesellschaft. In den drei Jahren nach Pierres Tod hatte er sich wieder in sich selbst zurückgezogen. Die Trauer um den Mann, der ihm geholfen hatte, sich den fast unmenschlichen Haftbedingungen anzupassen, hielt er tief in sich verschlossen. Der Verlust des Freundes, mit dem er über Jahre Seite an Seite denkbar eng zusammengelebt hatte, schmerzte ihn noch immer. Zwar konnte er sich inzwischen weiterer Vergünstigungen erfreuen, belegte eine Pritsche für sich alleine, besaß eine zweite Decke, durfte bei der Essensausgabe helfen und bekam dadurch eine etwas bessere Ernährung, aber all diese Dinge bedeuteten nur, dass manch anderer voller Neid auf ihn schaute, und er hatte einige Streitereien und Prügeleien auszustehen. Doch dann geschahen im Sommer 1805 einige Dinge, die es ihm geraten sein ließen, seine Zurückhaltung langsam zu lockern. Zum einen hatte er von dem Tischler erfahren, dass ein Fremder sich bei der Direktion der Anstalt nach ihm erkundigt hatte. Ein David von Hoven, hieß es, habe versucht, Straferlass für ihn zu erwirken. Was daraus allerdings werden würde, entzog sich der Kenntnis des Tischlers. Aber es nährte in Cornelius das Flämmchen Hoffnung. Als Nächstes traf ein Trüppchen abgerissener Gestalten ein, die eindeutig aus seiner Heimat stammten. Sie waren paarweise aneinandergekettet und hatten schwerste Arbeit zu leisten, aber ihre Pritschen standen in der Nähe der seinen. Da er sich frei umherbewegen konnte, suchte er sie eines Abends auf.
»Sieh dir den Manobisch 2 an. Walzt hier durch die Schränz 3 , als wie ein Schienkele 4 «, äußerte ein Rothaariger abfällig.
Cornelius musterte sie von oben herab. Beobachtet hatte er sie schon einige Tage lang. Vier Männer waren es, vom langen Transport angeschlagen, aber nicht so verstört vom Gefangenenleben wie manche andere. Ein raues Leben schienen sie gewohnt. Eines auf der Landstraße, und wenn er auch die Bedeutung der Worte nicht kannte, so ahnte er aber, dass es sich dabei um das Rotwelsch der Fahrenden handeln musste. Zwei von ihnen erschienen ihm träge, wenngleich verschlagene Typen zu sein. Sie hatten es geschafft, anderen Häftlingen Decken und Essen abzugaunern und dafür Prügel bezogen. Ein weiterer war stiller, resignierter wahrscheinlich, und noch sehr jung. Doch der, der ihn angesprochen hatte, wurde von ihnen als Anführer betrachtet.
»Ich spreche zwar dieselbe Sprache wie ihr, Leute, aber verstehen tue ich euch nicht,« stellte Cornelius fest und stützte den rechten Fuß auf der Pritsche ab zum Zeichen, dass er einem Schwatz gegenüber nicht abgeneigt war.
Misstrauisch blinzelte der
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