Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
vielleicht nicht über einen direkten Zugriff darauf, er wirkte noch sehr studentisch in seiner lässigen Art, aber der Herr Papa würde dem Sohn im Falle eines finanziellen Missgeschicks vermutlich aushelfen. Oder der Bruder.
Lydia lächelte dem modisch gekleideten Herrn zu, der übertrieben nonchalant an seiner Zigarre paffte. Er war äußerst gesprächig. Vieles hatte sie, die darin geschult war, Fetzen von Unterhaltungen wie Mosaiksteinchen zusammenzutragen, seinem Geplauder mit anderen Spielern entnommen, anderes hatte sie ihm in dem kosigen Boudoir entlockt, zu dessen Nutzung sie ihn auf Geheiß des Erlkönigs einlud, als er vor einigen Tagen eine große Summe gewonnen hatte.
Christian fühlte sich wohl in der Gesellschaft der Männer um sich herum. Er war seinem Freund dankbar dafür, dass er ihn in diesen exklusiven Club eingeführt hatte, in dem sich Herren von Bedeutung versammelten, hier ein Bankier, da ein Entrepreneur, dort ein Richter, da ein Ratsmitglied – Namen von Gewicht flüsterte ihm sein Freund zu, doch auch die Warnung, nie außerhalb dieser Mauern ein Zeichen des Erkennens zu geben, es sei denn, man war sich auf anderer gesellschaftlicher Ebene vorgestellt.
Das Spielen selbst faszinierte ihn. Es war eine wohltuende Abwechslung zu den trockene Übungen, zu denen ihn sein Studium gezwungen hatte. Er war auf Geheiß seines Vaters nach Freiburg gegangen, um einen akademischen Grad in Philologie zu erwerben, was immer man damit anfangen konnte. Da er nicht dumm war, hatte er den Stoff bewältigbar gefunden, Begeisterung entlockten die alten Sprachen ihm nicht. Die Herausforderungen der Dame Fortuna hingegen taten es, und auch die Reize der Dame Lydia.
»Erlkönigs Töchter«, hatte sein Freund ehrfürchtig geraunt und ihm verraten, dass vom Glück begünstigte Herren sich in ihrer speziellen Aufmerksamkeit sonnen durften. Was Christian besonders glücklich machte, war, dass er zu jenen Begünstigten gehörte, nicht aber sein Freund.
Ganz leicht ließ Lydia im Vorbeigehen ihre Hand über die Schulter eines Spielers streifen, der am Tisch des jungen von der Leyen die Karten gab. Es war an der Zeit, sich wieder einmal mit ihm zu unterhalten. Der Erlkönig wünschte einige Hinweise über die politische Entwicklung. Schon waren die Preußen bei Koblenz über den Rhein gegangen, der Kaiser war vor ihnen auf der Flucht nach Paris, auf der Köln gegenüberliegenden Rheinseite hatte sich die preußischen und russische Truppen versammelt. Würde es zum Kampf um die Stadt kommen?
Der zweite Grund, warum Lydia sich mit dem eleganten Herrn, der seine kupferfarbenen Locken immer so sorgfältig onduliert trug, unterhalten wollte, war delikater und betraf die Finanzen ebendieses Herrn. Denn es gab Gerüchte, kleine Auffälligkeiten und vage Hinweise. Lydia hatte, wie auch die drei anderen Damen, ein ausgeprägtes Gefühl für Zahlen, und es war bemerkt worden, dass an seinem Tisch mit besonders hohen Einsätzen gespielt wurde und dass sich – zwar noch nicht auffällig, aber doch bemerkbar – die Gewinne bei ihm einfanden. Sie beobachteten ihn, bemerkten aber keine Anzeichen von Tricks. Sie untersuchten die Karten daraufhin, ob sie unauffällig markiert sein konnten, fanden aber keinerlei Hinweis.
Christian hatte an diesem Abend, dem vorletzten des Jahres 1813, wieder einen erstaunlich satten Gewinn gemacht. Mit Genugtuung strich er die Summe ein und wiegte sich in dem angenehmen Gefühl, möglicherweise ein gewitzterer Spieler zu sein als seine Partner, zumindest aber ein von Madame Fortuna geliebter Mann. Die Summe würde es ihm erlauben, auch an den nächsten Tagen das Etablissement aufzusuchen und vielleicht sogar noch höher zu setzen. Die Vorstellung, von der Apanage unabhängig zu sein, die sein Vater ihm zahlte, war verlockend. Ein einziger Wermutstropfen bildete eine Schliere im Kelch seines ungetrübten Glückes. Lydia würdigte ihn diesen Abend keines Blickes, sondern lockte sein Gegenüber mit einladenden Schmeicheleien vom Tisch.
»Glück im Spiel, Pech in der Liebe«, wisperte sein Freund ihm ins Ohr. »Aber tröste dich, mein Junge. Mit deinen wohlgefüllten Taschen wird sich ein williges Liebchen finden, das alle Wünsche erfüllt. Ich kenne da einen Ort...«
Die Preußen kommen
Auf den Bergen dort oben, da wehet der Wind;
Da sitzet Mariechen und wieget ihr Kind,
Und schaut in die Nacht hin, mit weinendem Blick.
Dahin ist ihr Liebster, und kehrt nicht zurück.
Romanze,
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