Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
augenblicklich.
»Dieses Kind hat ausgesprochen, was ans Licht kommen musste. Nicht das Vorplärren patriotischer Gedichte ist die Pflicht der Stunde, sondern Hilfe tut not. Ich für meinen Teil sage diesem Fräulein meine unbedingte Unterstützung zu. Wer sich ebenfalls für dieses Unternehmen einsetzen möchte, findet sich bitte morgen Nachmittag um vier bei mir ein. Ich erwarte mindestens zwölf Damen, ist das verstanden? Marie Charlotte? Josefine? Henrietta? Albertine? Sophia? Du auch, du, albernes Geschöpf da mit dem idiotischen Rosenkranz auf deinem leeren Hirn. Zum Bettenmachen wird’s noch reichen! Und auch du, Henning, wirst dazukommen!«
»Jawohl, Großtante Almut!«
»Und Sie kommen auch, Kind!«
»Sehr wohl, gnädige Frau!«
»Und Ihre Mutter!«
»Ganz gewiss, gnädige Frau!«
»Die Kokotte im rotem Taft könnt ihr zu Hause lassen.«
»Wie Sie wünschen, gnädige Frau.«
»Hören Sie auf, wie eine Dienstmagd mit mir zu reden.«
Antonia produzierte eine perfekte militärische Ehrenbezeugung, stand stramm und antwortete zackig: »Jawohl, mon général!«
Die Alte lachte auf, und ihr Lachen klang überraschend jugendlich. Doktor Schmitz schüttelte, gleichfalls lächelnd, den Kopf und stellte vor: »Fräulein Waldegg, Sie haben das Vergnügen, sich mit meiner Großtante, der Frau von Spiegel, zu streiten. Ihre Zunge ist eine Geißel der Menschheit, und sie beruft sich ihrethalben auf eine Ahnherrin aus dem vierzehnten Jahrhundert, die auf ähnliche Weise ihr Mannsvolk terrorisiert haben soll. Aber sie wird Ihrer Sache dienen. Und ich, Fräulein Waldegg, werde es auch.«
»Danke!«
Sie hatten zwar von Peter Joseph Kley, dem Präsidenten der Hospizienkommission, die Zusage für die Nutzung des Bürgerhospitals erhalten und auch einige leerstehende Häuser zugewiesen bekommen, aber es war noch lange nicht alles so gerichtet, wie sie es sich wünschten, als Ende November die ersten Verwundetentransporte eintrafen. Bislang waren es wenige, aber die Frauen hörten und sahen nun erstmals, was auf sie zukommen würde.
Die Rheinbundstaaten waren inzwischen alle von Frankreich abgefallen, die Preußen rückten der Rheingrenze immer näher, die Verbündeten hatte sich in Frankfurt versammelt, und die französischen Mitglieder der Stadtverwaltung verhielten sich äußerst zurückhaltend. Eine seltsame Spannung lag über der Stadt, und das Weihnachtsfest feierten sie nur in ganz engem Kreis, zumal Antonia jederzeit auf das Einsetzen der Wehen wartete. Sie schenkte dem Weltgeschehen naturgemäß nur noch wenig Beachtung, einzig Cornelius weckte kurz ihr Interesse, als er ihr berichtete, Sulpiz Boisserée werbe in Frankfurt bei den österreichischen und preußischen Majestäten für den Dombau. Seinem Bruder Melchior sei es gelungen, dem Kronprinzen von Preußen seine Kupferstiche zu präsentieren, und der romantisch veranlagte junge Mann habe sich für den Weiterbau begeistert. Sogar Kaiser Franz habe sie gnädig zur Kenntnis genommen.
»Er ist ein geschickter Taktiker, der Boisserée, so versponnen er sonst auch sein mag. Ob nun die Preußen oder die Österreicher in Zukunft das Sagen haben, beiden hat er sein Projekt schmackhaft gemacht.«
»Cornelius, wenn dies alles vorbei ist – also ich nicht mehr aussehe wie ein Heringsfass auf Rollen und der Krieg vorüber ist -, dann werden wir uns wieder auf die Suche nach den Plänen machen. Ich habe nämlich inzwischen eine Idee, wo sie sein könnten.«
»Ach ja?«
»O ja!«
Gewinn und Verlust
Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön.
Erlkönig, Goethe
Lydia beobachtete unauffällig die Spieler. Es hatte Veränderungen gegeben in den vergangenen Wochen. Neue Gesichter waren dazugekommen, viele bekannte verschwunden. Vor allem die der Franzosen. Zivilisten hatten schon im Dezember die Stadt verlassen, Angehörige des Militärs plagten weiß Gott andere Sorgen, als sich am Abend in einem Spielclub zu vergnügen. Da ihr Arbeitgeber, der Erlkönig, immer nur eine begrenzte Anzahl Gäste in seinem Haus begrüßte, hatte es durch ihr Fernbleiben neuen Interessenten die Gelegenheit verschafft, aufgenommen zu werden. Natürlich nur solchen, die einen Bürgen nennen konnten, der ihre Bonität bestätigte. Der junge von der Leyen war vom Sohn des Präsidenten des Appellhofs, Mylius, eingeführt worden. Von der Leyen war ein guter Name, hinter dem ein beträchtliches Vermögen stand. Der junge Mann verfügte
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