Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
schleunigst zu Bett gehen, Toni. Du siehst sehr müde aus.«
»Das bestätigt mir heute irgendwie jeder. Es muss wohl etwas dran sein.« Sie begleitete ihn zu Tür, und im dunklen Flur drehte er sich zu ihr herum, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Doch er berührte nur ganz leicht mit seinen Lippen ihre Stirn.
»Es wird eine andere Zeit kommen. Ich verspreche dir, dass manches dann leichter wird. Schlaf gut, meine süße Toni.
Sie schlief überhaupt nicht.
Ein fatales Vermächtnis
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
die Szene wird zum Tribunal!
Und es gestehn die Bösewichter,
getroffen von der Rache Strahl.
Die Kraniche des Ibykus, Schiller
Kay Friedrich Kormann fauchte sein säumiges Weib an: »Bist du bald so weit? Wir haben eine Verabredung, bei der man ausnahmsweise mal pünktlich sein sollte.«
Er hatte einen offiziellen Brief vom Friedensrichter Doktor Joubertin erhalten, in dem er und seine Gattin aufgefordert wurden, sich an diesem Tag um elf Uhr wegen einer Vermögensangelegenheit in seinen Amtsräumen einzufinden, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit hatte. Das Schreiben war nicht sehr präzise, ließ aber vermuten, es könne sich um einen für ihn günstigen Sachverhalt handeln. Kormann spekulierte mit einem unerwarteten Erbe, und da seine finanzielle Lage noch immer angespannt war, hoffte er, eine erfreuliche Nachricht zu erhalten. Seine vorsichtigen Gewinne hatten zwar die ungeduldigsten Gläubiger befriedigt, aber von einer positiven Entwicklung war er weit entfernt. Ja, er hatte sogar erwogen, Charlottes Schmuck zu veräußern, nur die damit verbundene Auseinandersetzung mit seiner Gemahlin ließ ihn bis dato davor zurückschrecken.
In den nüchternen Räumen der Kanzlei empfing man sie höflich, doch ließ man sie eine geraume Weile warten.
»Was glaubst du, Friedrich, worum es sich handeln könnte?«
Charlotte redete ihren Gatten nach Abzug der Franzosen auf seinen Wunsch hin mit seinem deutschen Taufnamen an. Es schien ihnen beiden opportun.
»Keine Ahnung. Es könnte sich um ein Vermächtnis eines dankbaren Herrn handeln, dem ich vor Zeiten geholfen habe.«
»Von einem adligen Emigré? So wie dem Comte de Nemours?« Sie erinnerte sich an den freundlichen jungen Grafen, über den sie solch interessante Geschäftsbeziehungen zu den Lyoner Seidenhändlern aufgebaut hatten.
»Denkbar. Aber lass uns nicht raten, gleich werden wir es erfahren.«
Doktor Joubertin begrüßte sie in seinem geräumigen Arbeitszimmer und bat sie, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Er kam direkt zur Sache.
»Im Zusammenhang mit der Vermögensangelegenheit muss ich Ihnen die Frage stellen, ob Sie einen französischen Kupferstecher namens René Laballe kennen.«
»Ja, ich hatte kurze Zeit mit ihm geschäftlich zu tun. Ein kleiner Auftrag, den er zu meiner Zufriedenheit abwickelte.«
»Worum ging es dabei?«
»Um Anzeigen, die mein Angebot an Herrenkleidung darstellten.«
»Sonst keine weiteren Aufträge, Herr Kormann?«
»Nein, Doktor Joubertin.«
»Nun, bevor wir zur eigentlichen Angelegenheit kommen, muss ich Sie bitten, mir anzugeben, wo sie sich am zehnten März abends aufgehalten haben.«
In diesem Augenblick keimte das Misstrauen in Kay Friedrich. Vorsichtig antwortete er: »Das ist schon eine Weile her. Ich kann mich nicht erinnern. Wir besuchen sehr viele Abendgesellschaften, meine Frau und ich.«
»Und Sie, gnädige Frau, können Sie sich erinnern, wo Sie sich an besagtem Abend aufgehalten haben?«
»Gott, ja. Zufällig weiß ich es. Ich hatte meine Damen – Sie wissen ja, ich sammele Spenden für unsere armen Kriegsopfer – bei mir, und wir besprachen die Tombola, die wir am Wochenende danach durchführen wollten. Friedrich allerdings war außer Haus. Ich nehme an, bei Freunden. Er liebt unser Geschnatter nicht«, fügte sie mit einem koketten Lächeln hinzu.
»Was für eine Rolle spielt das, Joubertin?«
»Eine gravierende, Herr Kormann. Sie unterhalten auch Geschäftsbeziehungen zu Johann Jakob Wisskirchen?«
»Nein, absolut nicht. Der Mann, ist, soweit ich weiß, Rentier und nicht darauf angewiesen, Geschäfte zu machen.«
»Private Beziehungen?«
»Nur allgemeinster Art. Was soll das eigentlich? Ich dachte, es geht um eine Vermögenssache?«
»Geht es auch, Herr Kormann, geht es auch. Ich habe hier eine Forderung über eine nicht unbeträchtliche Summe vorliegen, die Sie noch heute begleichen sollten.« Doktor Joubertin schob ihm ein
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