Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
lebten. Den gängigen Gepflogenheiten entsprechend hatten sie beide beschlossen, auf das »von« in ihrem Namen zu verzichten und galten für die Welt als Herr und Frau Waldegg.
Die Dame des Hauses saß stickend am Fenster und sah erfreut auf, als Susanne mit einem fröhlichen Gruß auf sie zutrat.
»Fräulein Bernsdorf, schön, Sie zu sehen. Sind Ihre Großeltern wohlauf?«
Susanne gab die passenden Antworten und wurde auf das kleine Brokatsofa gebeten, um sich am Feuer aufzuwärmen. Dort, auf einer flauschigen Decke, lag eine magere, schwarzweiße Katze, die einmal träge ein Auge öffnete und die Besucherin musterte.
»Milli ist zwar sehr betagt, aber ein freundliches Streicheln weiß sie noch immer zu schätzen.«
Ein rostig klingendes Schnurren belohnte Susannes Kraulen. Sie mochte Katzen, wunderte sich aber, dass in dem so penibel sauberen Haushalt ein Tier geduldet wurde. Auch die Hausherrin wirkte makellos. Elena Waldegg war eine zierliche, fast zerbrechlich wirkende Dame mit klaren Gesichtszügen. Ihr Haar, aschblond, war kurz geschnitten und mit einigen Kämmen zu einer eleganten Löckchenfrisur aufgesteckt. Ihre Züge waren ruhig und ebenmäßig, ihre Haut glatt und gepflegt. Ihr stand die schmale, hochgegürtete Mode im Chemisenstil ausgezeichnet, obwohl sie nicht die dünnen Stoffe wählte, die Jüngere gerne verwendeten, um ihre Reize zu unterstreichen. Sie strahlte stille Vornehmheit und ätherische Eleganz aus.
»Das ist ja eine wundervolle Arbeit, Frau Waldegg«, äußerte sich Susanne mit aufrichtiger Bewunderung zu der Stickerei. Sie wähnte sich zwar geschickt mit Nadel und Faden, aber die feine Hohlsaumstickerei, die unter den feingliedrigen Fingern der Hausherrin entstand, hätte sie sich nicht zugetraut. »Was soll das werden? Ein Tischtuch?«
»So etwas Ähnliches. Es wird ein Altartuch. Es sind ja so viele Dinge aus den Kirchen verschwunden...«
Susanne nickte und nahm vorsichtig ein herabhängendes Ende auf, um das weiße Leintuch zu entfalten.
»Es wird bestimmt wunderschön, liebe Frau Waldegg, aber eigentlich bin ich ja gekommen, um Ihrer Köchin das Marzipanrezept abzuschwatzen.«
»Das Geheimnis wird Ihnen sogleich offenbart. Ich habe Jakoba Ihr Kommen angekündigt. Soll ich Sie in die Küche begleiten?«, fragte sie und strich ein kaum sichtbares Fältchen in der Zierdecke glatt.
»Ich würde zuvor gerne kurz mit Ihrem Gatten sprechen, Frau Waldegg. Mein Onkel hat eine Nachricht für ihn.«
»Nun, dann gehen Sie zunächst nach drüben, in die Bibliothek. Er hat sich mit den Gazetten dorthin zurückgezogen.«
Susanne folgte der anmutigen Handbewegung und klopfte leise an die angelehnte Tür. Ihre Schritte waren auf den Teppichen kaum zu hören, weshalb Hermann Waldegg ihres Eintretens nicht gewahr wurde. Er war völlig in Gedanken versunken und starrte mit regloser Miene auf die Bücherwand. Der Moniteur lag aufgeschlagen auf seinen Knien. Susanne versuchte es mit einem leisen Räuspern, und der Domherr wandte den Kopf und blinzelte.
»Ach, Fräulein Susanne. Treten Sie näher. Ich habe ein wenig gegrübelt, da kommt mir eine solch frische Ablenkung gerade recht. Setzen Sie sich, mein Kind.«
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht bei Ihrer Lektüre unterbrochen, Herr Waldegg.«
»Nein, nein, die Zeitungen können warten. Die Nachrichten sind sowieso nicht sonderlich erfreulich.«
»Nicht? Ich denke, wir haben einen großen Sieg errungen?«
»Sie fühlen sich sehr französisch, will mir scheinen, Fräulein Susanne.«
»Nun ja, eine Preußin bin ich nicht. Ich hörte, dieser Staat hängt recht altmodischen Sitten an.«
»Es war kein Vorwurf meinerseits. Auch ich schätze viele der Neuerungen, die uns der eingetretene Wandel gebracht hat. Aber lassen wir die große Politik ruhen. Sie besuchen meine Frau, nehme ich an?«
»Ja, aber ich überbringe auch eine Bitte meines Onkels. Sie wissen, er interessiert sich für alte Schmuckstücke.«
»O ja, ich weiß. Es ist befriedigend zu wissen, dass es Männer von Vermögen gibt, die nicht nur den Materialwert all der Kunstwerke schätzen, sondern sie vor der unwiederbringlichen Vernichtung retten.«
»Das ist sicher sehr achtenswert«, erwiderte sie zurückhaltend und kam dann auf den Anlass des Gespräches zurück: »Mein Onkel hat ein Angebot von ungewöhnlichen Wertgegenständen erhalten, bei denen er Ihr Urteil wünscht. Er vermutet, es könnte sich um Teile aus dem Domschatz handeln.«
Waldegg richtete sich interessiert auf.
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