Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
sein.
Das gab ihm den Anstoß, sich endlich aufzuraffen. Der Brief, den sein Cousin, oder wahrscheinlich sogar Halbbruder, David ihm hinterlassen hatte, beinhaltete einige Franc und eine Bankadresse. Mit der kleinen Barschaft konnte er sich ein Zimmer in einem einfachen Gasthaus mieten, die Bank würde er am nächsten Tag aufsuchen.
In dem kleinen, nicht besonders sauberen Raum breitete er später einige Gazetten aus, um sich wenigstens einigermaßen auf den Stand der Zeit zu bringen. Eine Flasche herben Rotweins leistete ihm dabei Gesellschaft. Dass jener erste Konsul, der im Jahr seiner Verhaftung in Frankreich aufgestiegen war, inzwischen als Kaiser regierte, hatte er selbstverständlich mitbekommen. Welche Veränderungen das allerdings in den Ländern bewirkt hatte, darüber fehlte ihm das Wissen. Von der unrühmlichen Seeschlacht bei Trafalgar hatte er sogar im Bagno gehört, und mit Überraschung las er, bei Jena und Auerstedt seien die Preußen vernichtend geschlagen worden und die Franzosen befänden sich auf dem Weg nach Berlin. Wer aber mit wem auf welche Weise verbündet war, das konnte er der aktuellen Berichterstattung nicht eindeutig entnehmen. Dem neu gegründeten Rheinbund gehörten zahllose Kleinfürstentümer an, es gab die linksrheinischen Staaten, die nun endgültig Frankreich zugeschlagen waren, Russland schien sich derzeit neutral zu verhalten, Österreich war im Jahr zuvor bei Austerlitz besiegt worden.
Es verwirrte ihn alles. Die politische Lage und der ungewohnte rote Wein. Er löschte die Kerze aus und zog sich die Decke über den Kopf.
Irgendwann in der bleigrauen Dämmerung des Morgens wurde er durch den Lärm vorbeirollender Wagen, brüllender Kutscher und dem Keifen einer Magd geweckt. Für einen Moment fiel es ihm schwer, sich daran zu erinnern, wo er sich befand. Aber das verhältnismäßig weiche Lager und die Abwesenheit anderer Menschen brachten ihm die Erkenntnis zurück: Er war frei. Er musste nicht aufstehen. Niemand verlangte von ihm, in die Reihe zu treten und mit dem täglichen Trott zu beginnen. Er konnte sich einfach umdrehen und weiterschlafen. Er tat es.
Er schlief bis mittags. Der Hunger trieb ihn in die Gaststube hinunter, wo er sich ein einfaches Mahl bestellte. Anschließend schlenderte er durch die Straßen der Stadt, hob das auf ihn angewiesene Geld ab und kehrte in den Abendstunden ins Gasthaus zurück. Dort setzte er sich mit einem Becher Apfelwein in die Nähe des Kamins und beobachtete schweigend das Kommen und Gehen der Fischer und Seeleute, der Netzflicker und Lastträger, der kleinen Händler und Höker und einiger magerer Hafenhuren, die für ein paar Sous ein schnelles Geschäft machen wollten. Er hörte ihrem Geschwätz zu, überwiegend Klagen über die schmerzlichen Einbußen, die ihnen die Seeblockade der Briten bescherte. Andere diskutierten ganz unverhohlen die Wege, diese Blockade zu umgehen und mit geschmuggelten Waren zu handeln. Eine der Frauen in einem verwaschenen roten Kleid sah ein paar Mal prüfend zu ihm hin und ging dann zielstrebig auf Cornelius’ Platz zu.
»So alleine hier, Capitain?«
Er streifte sie mit einem kurzen Blick. Aber das reichte der erfahrenen Hafendirne. Ihre Menschenkenntnis und ihr Wissen um die Kettensträflinge im Bagno verriet ihr viel mehr über ihn, als er sich je vorstellen konnte.
»Der Pot-au-feu ist heute besonders gut, Capitain. Willst du mich nicht zu einem Teller einladen?« Er reagierte nicht auf sie, aber unaufgefordert griff sie nach seinem Weinbecher und trank einen Schluck daraus. Sie schüttelte sich, als sie das billige Getränk auf der Zunge spürte, und meinte: »Wenn ich mit dem Wirt rede, wird er einen guten Roten für uns einschenken. Soll ich das tun, Capitain? Wir trinken gemütlich eine Pinte zu unserem Mahl. Dann schauen wir weiter, ja?«
Er hob die Lider, und sie erkannte den Hunger in seinen Augen. Mit einem wissenden Lächeln langte sie über den Tisch und nahm seine Hand in die ihre, drehte sie um und betrachtete die Innenseite.
»Ein harter Arbeiter, was? Hast ein anständiges Essen verdient.« Sie stand auf und sprach mit dem Wirt einige Worte. Dann kam sie zurück und redete wieder auf ihn ein. Belanglosigkeiten waren es, dazwischen kleine Versprechungen. Sie gab sich nicht verführerisch, sondern sachlich. Cornelius hörte ihr zu und musterte sie. Ganz jung war sie nicht mehr, sie mochte zehn Jahre älter sein als er. Hübsch war sie sicher einmal gewesen, jetzt war sie zu
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