Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
ein. Aber er befand sich nicht auf seiner harten Pritsche im Bagno, sondern in einem engen Bett. Doch das Schwanken wollte nicht aufhören. Auch das Geräusch des Wassers nicht, das neben ihm an die Wand klatschte.
Eine Gestalt verdunkelte das einfallende grelle Licht und rief erfreut aus: »Ah, endlich! Unser neuer Schiffszimmermann erblickt das Licht der Welt.«
So erfuhr Cornelius zu seinem Entsetzen, dass er sich an Bord der »Lumière du Monde« befand. Pechschwarze Verzweiflung packte ihn, und er verfluchte sich, der falschen Hafenhure sein Vertrauen geschenkt zu haben.
Doch dann sollte die Reise ihm ein ganz ungewöhnliches Erlebnis bescheren.
Feine Stickereien
Und drinnen waltet
die züchtige Hausfrau ...
und füllet mit Schätzen die duftenden Laden
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden ...
Die Glocke, Schiller
Seit über zwei Jahren lebte Susanne nun im Haus ihrer Großeltern väterlicherseits und fühlte sich erstmals seit ihrer Kindheit umsorgt und verstanden. Ihre Flucht aus dem Haus der Hirzens war dramatisch gewesen, aber die Gemüter hatten sich schließlich beruhigt, auch wenn die Verwandten ihrer Mutter sich – vermutlich heimlich aufatmend, da eine Esserin weniger zu versorgen war – von ihr mit kalten, zornigen Worten losgesagt hatten.
Jetzt führte sie nicht gerade das bequeme Leben einer verwöhnten jungen Dame aus gutem Hause, denn die Bernsdorfs, seit zwei Generationen in Köln ansässige Protestanten, folgten ihrem Glaubensideal von arbeitsamer, nüchterner Lebensführung. Müßiggang war kein erstrebenswertes Lebensziel. Johann Peter Bernsdorf leitete mit seinen zwei Söhnen, als der Patriarch der Familie, die Fabriken, die seit der Gleichstellung aller Konfessionen einige Erweiterungen erfahren hatten. Dass sein Jüngster, Daniel, der die Tochter der Hirzens geheiratet hatte, seiner Neigung als Bildhauer gefolgt war, war zwar mit Bedauern vermerkt worden, aber niemals hatte man den Kontakt zu ihm abgebrochen. Ja, die alten Bernsdorfs versuchten sogar, mit den Eltern ihrer Schwiegertochter einen gesellschaftlichen Umgang zu pflegen, waren aber kühl abgewiesen worden. Die alteingesessenen Katholiken Kölns waren nicht eben aufgeschlossen Fremden und Andersgläubigen gegenüber.
Inzwischen fand Susanne sich mit den verschiedensten Pflichten im Hause Bernsdorf betraut. Vor allem ihr künstlerisches Talent verschaffte ihr einige Betätigung. Als ihr Großvater ihre Begabung erkannte, erhielt sie einen intensiven Zeichenunterricht. Johann Peter Bernsdorf hatte sie aber auch in die Fabriken mitgenommen, um ihr zu zeigen, wie die zarten Baumwollstoffe gewebt wurden, für die die Firma bekannt war, und wie die aufwändigen Borten und Tressen hergestellt wurden, die den Hauptgeschäftszweig ausmachten. Es hatte sie nicht nur wegen der Gelegenheit, persönlichen Putz zur Verfügung zu haben, interessiert, sondern sie fand auch großes Interesse an den Posameterien, wenngleich nicht an der eigentlichen Herstellung, sondern an den Mustern und der Farbgebung. Ihr Großvater förderte das, und als sie einmal schüchtern ein neues Bandmuster vorschlug, ließ er es tags darauf fertigen. Manchmal begleitete sie ihre beiden Onkel in den eleganten Laden auf der Hohen Straße, wo neben den eigenen Erzeugnissen allerlei weitere Textilwaren und Accessoires verkauft wurden, wie Fächer, Handschuhe, Knöpfe, Retiküle, Shawls und Spitzenschirmchen. Sie lernte die Preise kennen und das ansprechende Verpacken. Das Eingehen auf die Kundenwünsche brauchte sie nicht zu lernen, es lag ihr im Blut. Die Kundinnen schätzen ihre heitere und geduldige Art, sie zu beraten, ihren sicheren Geschmack und die Fähigkeit, auf die modischen Narreteien einzugehen.
Aber Susanne war auch ein gern gesehener Gast bei Bernsdorfs Freunden, und besonders willkommen war sie im Haus der Waldeggs.
Dort wurde sie an diesem Nachmittag von einem würdigen Diener in den Salon geführt. Er war wohnlich, aber etwas altmodisch eingerichtet, wie immer auf das Peinlichste aufgeräumt, und im Kamin brannte bereits wegen des kühlen Oktobertages ein kleines Feuer. Der ehemalige Domkapitular lebte noch immer in dem bescheidenen Häuschen am Domhof, das ihm als Mitglied des Domkapitels als Privateigentum zugestanden worden war, doch er hatte das Nachbarhaus hinzugekauft. Einige Durchbrüche und Umbauten machten es nun zu einem geräumigen Heim, in dem er und seine Frau Elena sehr zufrieden und zurückgezogen
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