Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
unglücklich rollte sie sich in ihren Decken zusammen. Ihr Hals schmerzte, und ihre Augen brannten.
»Ach, Mama«, wisperte sie in die fadenscheinigen Laken. »Fromm soll sie gewesen sein, und hat sich doch mit den Pfaffen eingelassen. Um die Straßendirnen kümmert sie sich, aber die eigene Tochter hat sie fortgegeben. Das ist so verlogen, so scheinheilig und so heuchlerisch.« Sie schlug mit der Faust auf das klumpige Polster ihres Kopfkissens. »Ach, Mama, du wirst immer meine einzige Mutter bleiben.«
Erinnerungen an eine Niederlage
Die Jugend lernt mit Fallen gehen.
Sie muss sich halb verbrennen, halb versehnen
Und zwischen Sturm und wilden Klippen stehn.
Hofmann von Hofmannswaldau
David stand am Fenster seiner kleinen Wohnung in Berlin und schaute hinaus in den trüben Märzabend. Auf dem Schreibpult lag ein angefangener Brief, die Tinte jedoch trocknete bereits in der Feder. Es schien ihm schwerer und schwerer, seinem Vater zu schreiben. Zu bedrückend war das, was er zu vermelden hatte.
Noch vor einem halben Jahr war er durchaus optimistisch in den Krieg gezogen. Nicht ganz so enthusiastisch allerdings wie seine Kameraden, über deren hämische Bemerkungen in Bezug auf die Franzosen er nicht so recht lachen konnte. Er hatte auch sein Bajonett nicht zusammen mit ihnen an den Stufen der französischen Gesandtschaft geschliffen und war nicht der Meinung, man benötige lediglich Knüppel und keine Gewehre, um die Franzosen zu vertreiben. Allein die gewaltige Menge der Soldaten, die nach der Mobilmachung im August unter Waffen standen, beeindruckte ihn. Er war ein Teil davon, ein winziger nur, denn er gehörte lediglich zum Stab eines der Infanterieregimenter, genau wie Nikolaus, sein Freund aus Jugendtagen.
Doch als sein Regiment die Garnison in Potsdam verließ und sie auf Thüringen zumarschierten, kamen in ihm die ersten Zweifel auf. Der Feldzug war schlecht geplant. Es waren keine ausreichenden Magazine vorhanden, die Ernährungslage war miserabel. Die Gewehre der Männer befanden sich in einem desolaten Zustand. Die Verständigung der einzelnen Heeresteile untereinander funktionierte nicht vernünftig. Das Verhalten der Offiziere erschien ihm mehr als idiotisch. Sie achteten streng auf Disziplin, das war selbstverständlich wichtig, aber die Männer brutal zu bestrafen, die sich aus den abgeernteten Feldern ein paar Kartoffeln klaubten, um überhaupt etwas in den Magen zu bekommen, empfand er als überzogen. Er jedenfalls drückte beide Augen zu, wenn er die hungrigen Soldaten dabei erwischte. Nicht so sein Stiefvater, Major Cattgard, der zu allem Überfluss nun sein Vorgesetzter war. Zwischen ihnen gab es ständig Reibereien, denn der Major war darauf bedacht, jedes eigenmächtige Denken zu unterdrücken, und bestand auf penibelster Einhaltung der Ordnung auch unter Marschbedingungen. Mehr als einmal hatte David sich wegen eines aufgelösten Zopfes oder in Unordnung geratener Seitenlocken rügen lassen müssen. Weniger wichtig hingegen empfand der Major die Notwendigkeit, die Lager zu sichern, Patrouillendienste zu organisieren oder Felderkundungen zu betreiben. Hier verließ er sich, wie die übrigen Offiziere, auf die gottgegebene Weisheit der greisen Generäle.
David hatte heute Morgen einen Brief erhalten, der auf seltsamen Wegen zu ihm gekommen war. Die Notwendigkeit von Umwegen wurde ihm klar, als er feststellte, dass er in England verfasst worden war. Die seit dem November von Napoleon verhängte Kontinentalsperre machte sie notwendig. Post sowie alle denkbaren Kolonialwaren kamen nur noch über Schmuggelfahrten auf den Kontinent. Immerhin war es Nikolaus gelungen, das Schreiben nach Berlin zu senden. Die Flucht seines Freundes nach England überraschte David nicht besonders. Er hatte Verwandte dort, die sie gemeinsam vor zwei Jahren besucht hatten. Es erstaunte ihn auch nicht, dass er sich der Kings German Legion angeschlossen hatte, eine Truppe, die überwiegend aus Hannoveranern bestand. Er hatte schon damals mit diesem Gedanken gespielt, da er das preußische Militärwesen schließlich ebenso kritisch beurteilte wie David. Überrascht war er allerdings von der Nachricht, Nikolaus sei über Brest nach England gereist und habe dort weitere Erkundigungen über Cornelius eingeholt. Er war erleichtert, dass sein Cousin endlich aus dem Bagno entlassen worden war. Nikolaus schrieb, er habe zunächst mit Bedenken auf die Botschaft reagiert, man habe Cornelius auf ein französisches
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