Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
waren modisch gekleidet, ihre Hände in flauschigen Pelzmuffs vergraben, zierliche Stiefelchen an den Füßen und auf den glänzenden Locken federbesetzte Hütchen.
»Entschuldigen Sie, Fräuleins, ist eine von Ihnen Sarah Susanne Bernsdorf?«, platzte Toni heraus.
Beiden maßen den schäbigen Jungen mit einem hochmütigangewiderten Blick, und eine beschied Toni mit spitzem Ton: »Eine Sarah Susanne Bernsdorf kennen wir nicht.«
»Aber sie muss hier einmal gewohnt haben.«
»Geh aus dem Weg, Bengel!«, fauchte sie die andere an und stolzierte an Toni vorbei.
Gedemütigt schlich sie sich zurück zum Tabakladen, und es brauchte eine ganze Woche, bis sie den Mut fasste, sich bei Pitter nach dem Herrn von Waldegg zu erkundigen.
»Der Mann gehörte früher dem Domkapitel an. Das sind die reichen Faulenzer, die von den Einkünften ihrer Pfründe leben. Mehr hat der nicht zu tun gehabt. In den Neunzigern hat’s mal einen Skandal gegeben. Irgendwas wegen seiner Geliebten. Vierundneunzig ist er aus der Stadt geflohen, wie all die hohen Kleriker. Hab aber gehört, er ist zwei Jahre später zurückgekommen. Ist jetzt auch verheiratet. Seine Frau hat kürzlich so einen Wohltätigkeitsverein gegründet. Wollen sich der städtischen Schlampen annehmen, heißt es. Ziemlich überflüssig, wenn du mich fragst. Mehr weiß ich nicht über ihn.«
Dieses mit groben Strichen gezeichnete Bild hinderte Toni daran, den ehemaligen Domkapitular aufzusuchen. Von wohltätigen Damen hatte sie seit Arnsberg sowieso keine besonders gute Meinung. Blieb ihr also nur noch übrig, jene Nonne namens Deodata zu suchen. Das allerdings erwies sich als problematisch. Die Klöster existierten nicht mehr, die Schwestern waren in alle Winde verstreut. Pitter erteilte ihr auch in diesem Fall einen nützlichen Rat.
»Musst zum Magistrat gehen. Die haben all die Ordensleute erfasst. Sie zahlen ihnen eine kleine Rente, also müssen sie wissen, wo sie wohnen.«
Daher machte sich Toni auf den langen Weg durch die Instanzen. Sie hatte einige Erfahrung darin, nutzvolle Informationen zu sammeln, und so hatte sie alsbald herausgefunden, dass die erfolgversprechendste Stelle die Wohlfahrtskommission war, deren Leiter der Kommissär Frédéric Kormann war. Also saß sie an einem klammen Februarmorgen im Wartezimmer vor dem Bureau des besagten Kommissärs. Es hielten sich dort eine ganze Reihe weiterer Bittsteller auf. Neben ihr saß ein junges Mädchen, mager und frierend, das sich zwei schäbige Wolltücher um die Schultern gelegt hatte und verstohlen hustete. Nach ihr kamen noch ein junger Mann mit einem hinkenden kleinen Mädchen an der Hand, eine aufgetakelte, aber verlebte Frau, zwei verschüchterte alte Weibchen, die zwar das Habit, nicht aber den Habitus der Nonnen abgelegt hatten, und ein Veteran in verschlissenem Uniformrock in den Raum. Ein schmucker Sekretär ließ sich Namen und Anliegen nennen und rief sie dann nacheinander auf. Toni machte sich auf eine lange Wartezeit gefasst.
Um die Mittagszeit war schließlich nur noch das hustende junge Mädchen vor ihr. Es verschwand durch die Tür, und Toni nahm ihren Platz ein.
Nach wenigen Augenblicken flog die Bureautür wieder auf. Schluchzend schwankte das Mädchen hinaus. Ein Hustenanfall beutelte sie, sie lehnte sich an die Wand und rutschte langsam zu Boden. Keiner der Anwesenden beachtete sie.
Toni schaute sich verständnislos um und stand dann auf, um sich zu der Schluchzenden zu begeben.
»Was ist passiert?«
»Sie sprechen nur Französisch«, schnupfte sie. »Und ich kann mir keinen Dolmetscher leisten. Ich verstehe so wenig. Aber Papa musste den Laden zumachen, und er ist nach dem Bergischen, der Bruder ist gefallen, Mama ist krank, die Kinder...«
Toni hatte dieses Elend schon kennengelernt. Auch Pitter Stammel hatte Probleme, seit die Kontinentalsperre die Einfuhr bestimmter Waren verbot. Tabak, Kaffee, Tee, Baumwolle – alles, was aus den Kolonien bezogen wurde, war mit hohen Zöllen belegt worden, und die Händler erlitten ernsthafte Einbußen. Kleinere Läden waren vom Ruin bedroht, ohne dass ihre Betreiber eine Schuld daran hatten.
»Ich bin als Nächstes an der Reihe. Dann gehen Sie noch einmal mit mir hinein. Ich übersetze für Sie.«
Das Mädchen stammelte seinen Dank und wischte sich mit dem Zipfel ihres Schultertuchs das Gesicht ab.
Gleich darauf wurde Toni aufgerufen und betrat das geräumige, gut geheizte Bureau des Kommissärs. Er stand an einer Durchgangstür und
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