Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
für uns bereiten. Und auch einige Kuchen servieren.«
Die kleinen Schlucke, die Toni von dem Wein nahm, beruhigten das Husten, und sie griff in ihre Jackentasche, um den zerknitterten Umschlag herauszubefördern. Sie reichte ihn dem Domherrn und ergab sich in ihr Schicksal.
»Sie verzeihen, wenn ich ihn sogleich überfliege. Ich warte schon so lange auf ein Lebenszeichen von David.«
Toni nickte nur und nahm noch einen Schluck von dem dunklen Wein, der eine so besänftigende Wärme in ihrem leeren Magen verursachte, während Waldegg das Schreiben las, das Nikolaus Dettering über drei Monate zuvor aufgesetzt hatte. Sie bemerkte seine plötzliche Blässe und sein keuchendes Atmen. Gerade wollte sie aufspringen, da kam Johann, der Diener, in den Raum, erfasste augenblicklich die Verfassung, in der sich sein Herr befand, und zog eine Phiole aus dessen Westentasche.
»Nehmen Sie Ihre Arznei, Herr!«, befahl er und richtete einen strafenden Blick auf Toni. »Sie dürfen den Herrn nicht aufregen. Am besten verlassen Sie jetzt das Haus.«
»Der Junge bleibt. Richte Davids Zimmer für ihn her.« Waldegg saß aufrecht und atmete einige Male tief durch. Als Johann, leise grollend, den Raum verlassen hatte, erklärte er: »Ich habe ein widerspenstiges Herz, das sich bei großen Aufregungen manchmal vergaloppiert. Aber nun, Toni – oder Antonia, werden Sie mir noch einige Fragen beantworten, die dieses Schreiben hier offen lässt.«
»Selbstverständlich. Was möchten Sie wissen?«
»Sie haben lange gebraucht, um mir diesen Brief zu überbringen.«
»Ich musste einige Dinge abwickeln. Meine... Mutter starb. Ich musste unsere Wohnung auflösen. In Darmstadt. Dann kam ich nach Köln. Es war schwierig. Ich...« Unter dem ruhigen Blick der blauen Augen – genauso blau wie die seines Sohnes – fiel Toni keine Ausrede ein. »Ich hatte Angst, zu Ihnen zu kommen. Sie sind ein vornehmer Herr, ich bin nur ein Trossbub. Oder eben die Tochter einer Marktfrau.«
»Ich verstehe.«
Durch die Tür der Bibliothek trat jetzt eine alte Frau, die einen Teewagen zum Kamin schob, auf dem sich nicht nur Kanne und Tassen, sondern auch ein Teller mit Früchtebrot, Rosinenbrötchen und Marmelade befanden. Toni konnte einen begehrlichen Blick nicht unterdrücken.
»Lass uns alleine, Jakoba. Und wenn Elena heimkehrt, möchte sie bitte warten, bis ich zu ihr komme.« Jakoba verschwand, doch nicht ohne eine lange, intensive Musterung des seltsamen Gastes. »Nehmen Sie erst einmal ein Stück Kuchen, Antonia«, schlug Waldegg vor, während er den Tee eingoss und in die Tasse seiner Besucherin eine reichliche Menge Zucker gab. Auf seine weiteren Fragen erzählte sie ihm zwischen den hungrigen Bissen von dem Tabakladen und den Stammels.
»Dort also sind Sie untergekommen. Ich verstehe Ihre Schwierigkeiten. Der Freund meines Sohnes berichtet mir, Sie seien auf der Suche nach Ihrer leiblichen Mutter, die hier in Köln in einem Kloster lebte.«
»Ja.« Toni war sich nicht sicher, wie weit sie ihre Erkenntnisse dem Domherrn anvertrauen durfte.
»Haben Sie ihre Spur verfolgen können?«
Ihre Hilflosigkeit spiegelte sich in einer kleinen Geste wider. Sie drehte zögernd die Handflächen nach oben. Waldegg war ein kluger Beobachter, und er spürte ihre Unsicherheit.
»Es muss alles sehr verwirrend für Sie gewesen sein, Antonia. Sie kennen natürlich den Inhalt dieses Schreibens. Ich denke, Ihr Zögern, uns aufzusuchen, hat auch etwas damit zu tun, dass ich mit einer Frau verheiratet bin, die früher dem Orden der Benediktinerinnen angehörte.«
Toni nickte stumm.
»Sie wurde einst Schwester Deodata gerufen. Ich weiß von ihr, dass sie vor sechzehn Jahren einer Tochter das Leben schenkte, Antonia. Und zu ihrem lebenslangen Bedauern gezwungen war, das Kind an eine Marktfrau fortzugeben.«
»Ich hab’s herausgefunden.« Tonis Hals war trocken geworden, und um nicht wieder zu husten, trank sie den süßen Tee mit einem lauten Schlürfen aus.
»Dann können wir wohl davon ausgehen, dass Sie, was mir fast wie ein Wunder erscheinen will, tatsächlich Elenas vermisste Tochter sind, mein Kind.«
»Möglich. Aber meine Mutter war immer Elisabeth Dahmen. Daran wird sich nie, nie etwas ändern!« Trotzig sah Antonia den grauhaarigen Mann an.
»Nein, Antonia. Daran wird sich nie, nie etwas ändern.«
Sie sackte in sich zusammen und fuhr sich mit den Händen durch die wirren Haare. Waldegg stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Ab jetzt
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