Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Schiff gebracht, das mit Ziel Kanarische Inseln aufgebrochen sei. Diese Information hatte er von einer ungewöhnlichen Frau erhalten, die er zunächst für eine der üblichen Hafendirnen gehalten hatte. Doch sie zeigte ein unerwartet kultiviertes Benehmen und versicherte ihm, Cornelius sei vollkommen in Sicherheit und würde vermutlich einen sehr lehrreichen Aufenthalt auf der »Lumière du Monde« haben. Wann das Schiff aber wieder in Brest einlaufen würde, konnte sie nicht sagen. Zudem erfuhr David, dass sein Freund jenem Mädchen, Toni, das auf so tragische Weise seine Mutter verloren hatte, die Adresse seines Vaters in Köln genannt hatte.
Seinem Vater zu berichten, dass es Cornelius allem Anschein nach gut ging, war eine einfache Aufgabe. Auch nach dem Mädchen zu fragen, fand er nicht schwer. Diese Punkte waren schnell erledigt. Doch nun ging es darum, seine eigene Situation darzustellen. Das war unverhältnismäßig viel heikler, und Davids Miene wurde finster.
Jena war die Hölle gewesen. Obwohl er sich selbst nicht unter den Kämpfenden befand, sondern seinen Dienst bei den Kommandeuren zu verrichten hatte, kam zu dem Schrecken des Musketenfeuers, vor dem auch sie nicht gefeit waren, noch die Einsicht, mit welcher Dummheit und welchem Starrsinn die Befehlshaber ihre Männer opferten. Es war ein reines Schlachten. Niemand kümmerte sich um die Verwundeten, die schreiend auf dem Feld starben, niemand barg die Toten. Unklare, widersprüchliche Befehle wurden gegeben, Hilfe ignoriert oder, auf der anderen Seite, verweigert. Schließlich war die Armee in Chaos und Auflösung begriffen, eine heillose, zumeist ungeordnete Flucht begann.
David und Nikolaus hatte es mitgerissen, ihre Einheit verloren sie bald. Sie schlossen sich einem einigermaßen geordneten Trupp an, der Richtung Magdeburg zog. Diese Stadt galt als die sicherste Festung in der Umgebung. Sie war das Ziel Tausender. Als sie ankamen, wimmelte es in den Straßen von Soldaten, Pferden, Bagage und Fuhrwerken. Es gab keine Unterkünfte, keine Nahrungsmittel, kaum Wasser. Der Kommandant, General von Kleist, sah sich vollkommen überfordert mit der Situation. Zu allem Überfluss tauchte Major Cattgard auf, der David und Nikolaus sofort unter sein Kommando nahm.
Kaum hatten sie sich einigermaßen eingerichtet, wurde die Stadt von den nachrückenden Franzosen belagert, und die Situation verschlimmerte sich weiter. Dreiundzwanzigtausend Soldaten, sechshundert Offiziere und zwanzig Generäle saßen in der Falle.
Doch David hatte Erkundigungen eingezogen, und unter Einhaltung des korrekten Dienstwegs machte er Major Cattgard den Vorschlag, durch eine der Kasematten den Ausbruch zu wagen und sich durch die feindlichen Reihen nordwärts zu schlagen, wo sich die Truppen Yorcks und Blüchers nach Aussagen einiger Flüchtenden befinden mussten. Von ihnen könnte man Hilfe erhoffen. Major Cattgard behandelte David wie einen unreifen Jungen. Seine Argumente waren vernichtend, sein Tonfall verletzend. Er empfahl David, wenn er Langeweile verspüre, solle er mit den Soldaten exerzieren oder Latrinen ausheben, aber sich nicht in die Kriegsführung einzumischen. Das sei eine Aufgabe weitblickenderer Männer, als er je einer werden würde!
»Ich werde mir die Erlaubnis von General von Kleist selbst holen. Herrgott, wir können doch nicht wie die Mäuse in der Falle hier sitzen bleiben und zusehen, wie die Franzosen uns aushungern. Zwanzig Meilen von hier stehen kampfbereite Truppen! Wenn sie uns eine Ablenkung verschaffen, können wir ausbrechen und einen geordneten Rückzug antreten.«
»Ihr ehrloser Vorschlag ist skandalös, Leutnant!«, blaffte Cattgard ihn an.
»Was ist ehrlos daran, Menschenleben zu retten? Die Männer hungern, viele sind verwundet, es gibt keine Versorgung... Lassen Sie es mich versuchen, Herr Major.«
»Sie bleiben. Der General wird seine eigene Strategie haben.«
»Mit Verlaub, der General hat gar keine Strategie.«
»Leutnant!«, brüllte der Major. »Sie vergessen sich!«
Leider konnte Major Cattgard nicht zwischen seiner Rolle als Stiefvater und Offizier unterscheiden, der Streit spitzte sich zu und endete damit, dass David, kochend vor Wut, die sich in dreizehn Jahren Demütigung zusammengebraut hatte, den Major mit einem gezielten Faustschlag niederstreckte.
Anschließend machten sich Nikolaus und er ohne Erlaubnis im Schutze der Dunkelheit auf den Weg durch die Fluchtwege in der Festungsmauer, die ihnen einer der Einwohner
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