Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
unterhielt sich mit einem korrekt gekleideten Mann mit schwarzen Haaren und scharf geschnittenen Zügen, den er als Sous-Préfet titulierte, und so hatte sie Muße, eine der elegantesten männlichen Erscheinungen zu mustern, die sie je gesehen hatte. Von den glänzenden Stiefelspitzen zu den zart biskuitfarbenen, faltenlosen Hosen, über den maßgerecht gearbeiteten blauen Frack aus feinstem Wollstoff, der seine schmalen Hüften und seine breiten Schultern betonte, von der reinweißen Halsbinde bis hin zu den goldbraunen Locken, die in so gewollter Unordnung um seinen Kopf lagen, dass gewiss nicht ein Windstoß, sondern die meisterliche Hand eines Coiffeurs sie arrangiert haben musste, war er ein Bild eines vollendeten Beaus. Sein Gesicht war markant und sehr männlich, doch als er sich mit geschmeidiger Verbindlichkeit vor dem anderen Herrn verbeugte, ließ darin ein flüchtiges Lächeln eine gewisse Jungenhaftigkeit aufblitzen.
Das Lächeln erlosch, als der Sous-Préfet die Tür hinter sich schloss und Kommissär Kormann seine neuen Klienten begutachtet. Er sprach ein sehr schnelles, leicht verschliffenes Französisch, mit dem er sich erkundigte, was die junge Dame denn nun schon wieder von ihm wolle. Sein Tonfall war äußerst kühl und verächtlich.
»Sie werden Mademoiselle dennoch zuhören, Monsieur Kormann, denn vorhin hat es ja einige Sprachprobleme gegeben. Ich werde für sie dolmetschen«, antwortete Toni in genauso schnellen Worten. Es war ein Hauch von Verblüffung in Kormanns Augen zu lesen, dem abgerissen Jungen hatte er weder den Schneid noch die Sprachkenntnisse zugetraut.
»So tragen Sie denn das Anliegen dieser Person vor«, beschied er kurz. Es war bald gemacht, der Sekretär war hereingerufen worden, um eine Notiz und eine Anweisung auf eine Unterstützungszahlung auszufertigen, und Kormann setzte schwungvoll seine Unterschrift darunter.
»Der Nächste jetzt!«
»Der Nächste bin ich, Monsieur le Commissaire«, entgegnete Toni. »Ich habe ein Recht...«
»Sie fungierten als Dolmetscher, nicht als Antragsteller. Nehmen Sie Ihren Platz in der Reihe der Wartenden ein.«
»Dieser Platz war der meine.«
»Sie haben ihn der Mademoiselle abgetreten. Meine Zeit ist begrenzt, verfügen Sie sich nach draußen!«
Toni wollte sich gerade aufs Bitten verlegen, als sich die Durchgangstür wiederum öffnete und ein ebenfalls sehr eleganter Mensch seinen Kopf hereinsteckte und auf Deutsch fragte: »Kay Friedrich, begleitest du Irene und mich nachher zum Caféhaus Müller? Wir wollen uns dort mit Legrand treffen.«
»Ah, gerne. Ich werde mit dem Volk hier bald fertig sein. Sagen wir zwei Uhr?«
»Der spricht ja Deutsch«, wisperte das Mädchen an Tonis Seite fassungslos.
»Und zwar mit Kölner Einschlag«, stellte Toni trocken fest. Sie hieb beide Fäuste auf den Schreibtisch, holte einmal tief Luft und schleuderte dem Kommissär ihr ordinärstes französisches Argot entgegen, das sie von den fluchenden Fuhrknechten des Trains aufgeschnappt hatte, sodass der Mann mit seinem Stuhl langsam rückwärtsrutschte. Als sie mit ihrem Sermon geendet hatte, fragte sie unvermutet höflich und in gewählter Aussprache nach: »Ich nehme an, Sie haben jedes Wort verstanden?«
Kormann hatte sich von seiner Überraschung erholt, stand auf und wies mit dem Arm zur Tür.
»Raus. Oder ich helfe nach!«
»Sie werden mich anhören!«
»Bertrand!«
Ein Sergeant kam in den Raum, auf einen kurzen Wink hin hatte er Toni gepackt und schob sie unsanft zur Tür. Das Mädchen folgte, so schnell es konnte.
Mit einem Krachen landete Toni auf den Holzbohlen zu Füßen der Wartenden, und diesmal war es das Mädchen, das sich mitleidig zu ihr niederbeugte.
»Danke, mein Herr, danke. Aber das hätten Sie nicht tun dürfen. Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf.«
»Lassen Sie nur, Fräulein. Ich bin schon schlimmer gefallen.« Aber ein paar Prellungen hatte es gegeben, merkte Toni, als sie sich aufrappelte. Unerwarteterweise sah sie plötzlich den schmucken Sekretär vor sich auftauchen und nahm augenblicklich Abwehrhaltung an. Doch dann bemerkte sie das Grinsen in seinem Gesicht.
»Monsieur, meine Hochachtung.« Er vollführte eine elegante Handbewegung, mit der er Antonia zu einer Fensternische wies. Sie humpelte dort hin, lehnte sich an die Wand und bedachte ihn mit einem fragenden Blick.
»Ich bin zutiefst beeindruckt, Monsieur. Noch nie hat jemand gewagt, das Aussehen des Commissaire Frédéric Kormann mit dem eines ondulierten
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