Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
wirst du hier dein Zuhause haben, Kind. Es wird anfangs ungewohnt sein, denn wir sind uns noch fremd. Aber ich verspreche dir, du bist von Herzen willkommen.«
»Danke, Herr Waldegg.«
Milli, die alte Katze, war von ihrem weichen Lager aufgestanden und beehrte Antonia mit einem neugierigen Schnuppern an den Stiefeln.
»Sie scheint dich zu akzeptieren. Darf ich bekannt machen – Milli, die eigentliche Herrin des Hauses.«
»Sie sieht aber ziemlich struppig aus.«
»Sie ist ja auch schon älter als du es bist. Komm, ich will dir jetzt dein Zimmer zeigen, und später werde ich mich um deine Habseligkeiten kümmern.«
»Mit Verlaub, ich würde lieber gehen und sie selber holen.«
»Aber es ist kalt, und du siehst erschöpft aus.«
»Trotzdem. Ich muss mich von Pitter verabschieden. Es gehört sich so, wissen Sie. Viel zu tragen hab ich nicht.«
»Ja, es gehört sich so, da hast du wohl Recht. Ich werde dir aber eine Kutsche rufen lassen.«
»Nein, besser nicht. Hören Sie, ich bin schon viel weiter gelaufen als die paar Straßen. Es macht mir nichts.« Auf Waldeggs Kopfschütteln hin erklärte sie: »Es ist keine gute Gegend, und Pitter wird sich komische Gedanken machen, wenn ich in einer Kutsche vorfahre.«
»Oh. Nun ja, ich verstehe. Dann aber will ich wenigstens dafür sorgen, dass ein heißes Bad für dich bereit ist, wenn du wiederkommst. Das hat sich als sehr wohltuende Kur bei Erkältungen erwiesen.«
»Ein Bad, richtig mit heißem Wasser?«
»Mit heißem Wasser. Es wärmt ganz wunderbar die ausgekühlten Knochen.« Antonias Augen leuchteten auf, und der Domherr lächelte. »Ist das Verlockung genug?«
»O ja!«
Er begleitete sie zur Tür und sah ihr nach, wie sie in dem grauen Nachmittag verschwand. Dann seufzte er tief auf und stieg die Treppe zu den Schlafzimmern hoch. Das Mädchen hatte Davids Bett frisch bezogen und ein kleines Feuer im Kamin angezündet. Er gab ihr den Auftrag, den Badeofen anzuheizen, denn das Haus verfügte seit einiger Zeit über den höchst modernen Luxus eines fest installierten Badezimmers. Dann begab er sich in das Nebenzimmer, das vor Jahren Cornelius bewohnt hatte, um dort die Schränke zu inspizieren.
Elena kam wenig später von einer Versammlung des Wohltätigkeitsvereins zurück. Ihr Gatte bat sie augenblicklich in die Bibliothek, was sie ein wenig verwunderte. Er versuchte, ihr die Neuigkeit so schonend wie möglich beizubringen, doch selbst die vorsichtigsten Formulierungen brachten sie dazu, mit zitternden Händen, starr und blass wie ein frisch gebleichtes Laken in ihrem Sessel zu sitzen.
»Antonia? Meine Tochter? Meine Gebete wurden erhört?«
»Es sieht so aus, Elena. Aber du solltest gewappnet sein – sie hat ein schweres Leben gehabt und ist in einer gänzlich anderen Umgebung als der unseren aufgewachsen.«
»Ja, Elisabeth Dahmen war eine Marktfrau. Aber sie schien mir sauber und zuverlässig.«
»Das war sie ganz gewiss, und Antonia hängt sehr an ihr. Sie trauert um die einzige Mutter, die sie kannte. Erwarte also nicht, dass sie dir sogleich in die Arme sinkt, Elena.« Waldegg wusste sehr gut um die seelische Verfassung seiner Gemahlin. Sie war ein schwärmerisches Mädchen gewesen, das sich mit ganzen Herzen der Verehrung der Heiligen hingegeben hatte. Sie war, nachdem sie das Kloster verlassen hatte, eine fürsorgliche Haushälterin in seinem Heim gewesen und dann – nach gar nicht allzu langer Zeit – seine hingebungsvolle Gattin geworden. Sie hatte sich mitleidig jener armen Seele angenommen, die sie um Hilfe angefleht hatte und sich daraufhin der Wohltätigkeit verschrieben. Auch dieses Ideal verfolgte sie mit Inbrunst. Aber er wusste, dass sie all dieses mit einer gewissen Verklärung umgab. Sie konnte zärtlich das Spitzenhäubchen eines Neugeborenen zurechtzupfen und milde Wiegenlieder summen. Sie war gerne bereit, einem Kranken kleine Köstlichkeiten zu servieren und mit sanfter Hand die sauber gewaschenen Laken glatt zu ziehen. Sie war durchaus in der Lage, anderen die bedrängte Situation Notleidender zu schildern. Aber ob sie mit dem verwahrlosten Geschöpf zurechtkommen würde, das sich als ihr eigen Fleisch und Blut entpuppte, da hatte er seine Bedenken. Menschen von Elenas Art neigten dazu, die Welt als heil und wohlgeordnet zu betrachten, und der Kontakt mit der rauen Realität versetzte sie meist in Verwirrung.
»Nein, Hermann, ich erwarte nicht, dass sie mir in die Arme sinkt. Aber ich hoffe, sie wird es mir nicht
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