Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
sein? War es eine Kapelle, ein Haus, gar eine Burg?«, überlegte Paul laut. »Es gibt hier viele derartige Überreste, verlassene Ansiedlungen, geschleifte Befestigungen, einsame Kirchen.«
»Auf jeden Fall stammt es aus der Zeit der Gotik.«
David hatte seinen Skizzenblock hervorgeholt und zeichnete geschwind den Bogen. Die Reste des geschwungenen Maßwerks, ein Dreiblatt über Doppelbogen, vervollständigte er und fügte die Mauern an, wie sie sich aus den wenigen noch vorhandenen Resten ergaben.
»Eine Kapelle, würde ich annehmen.«
»Wenn man es so rekonstruiert – ja, eine Kapelle. Donnerwetter!«
»Wie du sagst – Donnerwetter. Schau mal, Paul!«
Über die grüne, hügelige Ebene, die sie von ihrem Platz aus überblicken konnten, sahen sie in der Ferne eine dunkle Wolkenwand aufziehen.
»Das wird uns eine Abkühlung bringen.«
»Na, hoffentlich. Machen wir uns auf den Weg, es müsste hier bald eine Herberge am Weg liegen, wenn man deinem Pfarrer Nikolai glauben darf. Wenn wir Glück haben, erreichen wir sie vor dem Unwetter.«
Sie beschleunigten ihre Schritte, denn schon bald wirbelten die ersten Böen den Staub auf, und Wolkenfetzen fegten über den verschleierten Himmel.
»Da, schau mal? Ist der Mensch verrückt?« David wies auf einen Mann, der an einem Felsvorsprung an einer Staffelei stand und eifrig pinselte.
»Alle Künstler sind verrückt. Er merkt vermutlich das Gewitter erst, wenn der Blitz neben ihm niederfährt. He, holla, Freund!« Paul rief und eilte auf den Maler zu, dessen Skizzenblock von einem Windstoß erfasst wurde. David lief hinter ihm her und fing den Hut auf, der neben der Staffelei auf dem Boden lag und nun loskollerte.
»Kommen Sie, Mann! Gleich wischt Ihnen der Regen die Farbe vom Blatt.«
»O Mist!«, murmelte der Maler und packte eilig die Farbtuben in die Kiste. »Ich hab’s nicht bemerkt.«
»Das haben wir uns so gedacht. Schnell, kommen Sie, ich nehme das Bild, David, du die Staffelei und Sie den Kasten. Da entlang, ich habe das Schild gesehen. Es geht da vorne rechts zu dem Gasthaus, das wir suchten.«
»Ja. Ja, da wohne ich.«
Sie rannten, von Sturmböen gepeitscht, den holprigen Weg entlang, und etwa hundert Schritt vor dem Haus ergoss sich der erste Schauer über sie. Lachend und sich wie nasse junge Hunde schüttelnd, stürzten sie in den Hausflur.
»Herr Friedrich, Herr Friedrich! Ich habe Ihnen doch gesagt, es gibt ein Wetter!« Behäbig kam die Wirtin angewatschelt und schalt den tropfenden Maler.
»Ja, Sie hatten natürlich Recht. Aber das Licht...«
»Immer das Licht, immer das Licht. Und wer seid Ihr?«
»Meine Retter, sie halfen, dieses Meisterwerk zu bergen«, antwortete der Maler mit einer kleinen, ironischen Verbeugung. David verbeugte sich ebenfalls und stellte sie vor.
»David von Hoven, Paul David Lettow, auf einer Wanderschaft und auf der Suche nach einer trockenen Herberge.«
Der Maler begann zu lachen.
»Na, da möchte man gerade Schillern zitieren: ›Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!‹ Caspar David Friedrich, mein Name.«
»Zitieren Sie mir diesen Rebellen nicht in meinem Haus!«, begehrte die Wirtin auf, war aber schon dabei, Schlüssel vom Hakenbrett zu pflücken. »Sonst bekommen Sie dieses hübsche luftige Zimmer nicht, meine Herren Davids.«
Ein Donnerkrachen ertönte, und der Regen wurde zu Hagel. Sie folgten allesamt der Wirtsfrau die Stiege empor. Paul und David erhielten ein geräumiges Zimmer, der Maler hatte seines schon nebenan bezogen. Man verabredete sich auf einen Schoppen im Gastraum.
David empfand sofort Sympathie für den Mann mit dem buschigen Backenbart. Er mochte nur wenige Jahre älter sein als er selbst, etwa Anfang der dreißig. Er erzählte launig von seinen ersten Versuchen, in Öl zu malen, eine Technik, die er sich erst vor Kurzem angeeignet hatte.
»Sepia, Bleistift, manchmal Aquarell, ja, aber Öl ist eine Herausforderung.«
»Die Sie offensichtlich gemeistert haben, wenn ich mir dieses Bild betrachte. Landschaften liegen Ihnen?«
Er bestätigte es und erzählte ihnen, auch er sei auf einer Wanderung, auf der Suche nach Motiven. Ein Wort gab das andere, und schon lagen Skizzenmappen auf dem Tisch ausgebreitet.
»Unbeschreiblich, Herr Friedrich. Ich habe diese und ähnliche Felsen, derartige Ruinen und solche Bäume hier gesehen. Dennoch enthüllen Ihre Bilder mehr, als ich mit meinen Augen wahrnehmen konnte.«
»Der Maler soll nicht nur malen, was er vor sich sieht,
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