Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Semester vorgenommen, mir bei einer tüchtigen Wanderung den Wind durch das Gehirn pusten zu lassen. Offenbar hat er es mir, als ich nicht aufpasste, aus den Ohren herausgeblasen. In welche Richtung sind Sie unterwegs?«
»Gen Süden. Die Kramladenbesitzerin hat mir empfohlen, weiter an der Elbe entlangzuziehen.«
»Nicht die schlechteste Idee.«
Sie tauschten weitere Erfahrungen aus, und schließlich verabredeten sie sich, die nächsten Etappe gemeinsam zu bestreiten.
David stellte fest, dass sein Begleiter ein angenehmer Weggefährte war, schweigsam, ausdauernd, aber ehrlich fasziniert von den immer wieder auftauchenden Ausblicken. Er war auch überaus interessiert, als David, während sie unter einem schattigen Baum Rast machten, seine Stifte aus dem Tornister holte und eine schnelle Zeichnung von einem verfallenen Bauernhaus machte.
»Ich wünschte, ich hätte ein solches Talent. Aber meine Grenzen liegen bei einfachen Strichmännchen.«
»Sie pfeifen recht melodiös, mein Lieber. Sollte ich das wagen, würden die Zugvögel schon heute auf Wanderschaft gehen.«
Sie verstanden sich gut, und den folgenden Tag trotteten sie nebeneinander her, machten sich gegenseitig auf die Naturschönheiten aufmerksam. Später, als sie bei einem kalten Apfelwein im schattigen Garten saßen, meinte Paul zufrieden: »Sehr therapeutisch, eine solche Wanderung, nicht wahr? Ich muss Paragraphen aus meinem Hirn kriegen und einen Familienärger, und du hast auch etwas, was am besten in der Sonne verdampfen sollte. Ist dieser Reiseführer griffbereit?«
»Ah, natürlich. Hast du ein besonderes Ziel?«
»Ja, es gibt da eine Gegend, die überaus malerisch ist. Ich will sehen, wie weit sie von hier entfernt liegt. Vor drei Jahren habe ich eine ähnliche Wanderung gemacht, und die Stelle hat mich tief beeindruckt.«
Sie beugten sich also über die Karte und beschlossen, am kommenden Morgen zu der Klamm aufzubrechen, die Paul so sehenswert fand.
David hatte, nach einigen erholsamen Nächten, wieder unruhig geschlafen. Der Juli war ungewöhnlich warm, es kühlte kaum ab, und sirrende Mückenschwärme hatten über seinem Bett getanzt. Schon als sie in der Frühe aufbrachen, war es drückend. Ihre Röcke trugen sie zusammengefaltet auf ihre Tornister geschnallt, die Ärmel ihrer Hemden aufgerollt. Schweigsam folgten sie einem ausgetretenen Pfad, und um die Mittagszeit begann der Abstieg in die schmale, enge Klamm. Schweiß lief David von der Stirn und in den Nacken. Die Mückenstiche juckten und brannten, an der linken Ferse hatte er sich eine Blase gelaufen. Auch Pauls blonde Haare ringelten sich feucht um seinen Kopf, aber ihm schien die feuchte Hitze nichts auszumachen. Er pfiff, wie üblich, eine komplizierte Melodie vor sich hin, während er vor David Schritt um Schritt auf dem moosigen Weg voranging.
»Himmel, das erdrückt einen ja«, stöhnte David und blieb stehen. »Hier kommen wir nicht weiter.«
Eine gewaltige Fichte war von der Felswand quer über den Weg gefallen, und ihr nadelloses Geäst zeichnete sich wie totes Filigran in der Sonnenglast ab. Wurzelwerk zog sich gleich erstarrten Schlangen über den Pfad, rankendes Dornengestrüpp schien den Durchgang verwehren zu wollen, und hoch vor ihnen erhoben sich mahnend steinerne Riesenfinger vor dem dunstigen Himmel. Ein seltsam mit Flechten bewachsener Baumstumpf gemahnte an eine trauernde Frau, ein grauer, verwitterter Stein erinnerte David an einen ausgebleichten Pferdeschädel. Paul war ebenfalls stehen geblieben und wischte sich mit einem Tuch über die Stirn.
»Doch, es geht weiter. Keine Sorge. Ich bin diese Strecke schon einmal gegangen, von der anderen Seite aus. Aber wir könnten eine Rast machen, ich habe Durst.«
»Hier?« Unbehaglich sah sich David um. Er konnte nicht sagen, was ihm so bedrohlich schien. Aber er fühlte sich nicht wohl in dieser engen Klamm. Andererseits war er durstig, und so ließen sie sich auf herumliegenden Geröllbrocken nieder.
»Wenn es dir unheimlich ist, rezitiere den dreiundzwanzigsten Psalm, David. Er ist sehr passend hier«, schlug Paul mit einem feinen Lächeln vor und setzte die Wasserflasche ab.
»Da hast du mir etwas Bildung voraus. Ich kenne die Psalmen nicht.«
»›Und ob ich schon wanderte in finsterem Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich‹«, zitierte er. »Eine beruhigende Vorstellung.«
»Wenn du meinst.«
»Hast du kein Gottvertrauen, David?«
»Nein.
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