Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, sollte er es auch unterlassen zu malen, was er vor sich sieht.«
»Das, lieber Freund, unterscheidet uns beide – Sie sind der Künstler, ich der Konstrukteur.«
»Dafür, Herr Friedrich, beherrscht David jedoch die Perspektive und hat einen untrüglichen Blick dafür, in dem Unvollendeten das Ganze zu sehen.«
Caspar David Friedrich betrachtete Davids Zeichnungen und nickte zustimmend. Draußen tobte noch immer das Gewitter, und die Wirtin zündete einige Lampen an. Zufrieden musterte sie die drei Herren, die fachsimpelnd um den Tisch voller Blätter saßen. Sie war froh darum, denn sie mochte den Maler, doch er war ihr in der Woche, die er in ihrem Haus weilte, recht melancholisch vorgekommen. Es war gut, ihn in dieser Gesellschaft fröhlich lachen zu hören. Sie wandte sich der Küche zu und beschloss, dass den jungen Männern ein kräftiges Abendessen aus Schinken, Eiern, Bratkartoffeln und den von ihr selbst eingelegten sauren Gurken schmecken würde.
Drei Tage blieben sie in dem Gasthaus, denn das Wetter war umgeschlagen, und ein solider Dauerregen durchnässte die Natur. Andere Wanderer waren hinzugekommen, einer hatte eine Gitarre dabei, sodass Lieder und Gesänge durch das Haus schallten. David beteiligte sich an allen Gesprächen, aber besonders gerne unterhielt er sich mit Caspar David Friedrich. Sie stritten freundschaftlich über die Bedeutung der Italienreisen und Antikenstudien, die Friedrich für vernachlässigbare Modetrends hielt, suchten nach Inhalt und Bedeutung in Natur und Kunstformen, diskutierten über die Wirkungen von Farben und Bildaufteilungen, und am dritten Abend berichtete der Maler von der Akademie der schönen Künste in Dresden und ihren Studiengängen.
In dieser Nacht ließ der Regen nach, und David, schlaflos und sehr nachdenklich, wanderte unter den Bäumen im Garten auf und ab. Paul beobachtete ihn von seinem Fenster aus, überlegte, ob er sich zu ihm gesellen sollte, entschied sich dann aber anders. Er setzte sich stattdessen am Tisch nieder und schärfte eine Feder.
»Du wirst uns verlassen, David.« Es war eine Feststellung, keine Frage, mit der sein Freund ihn am Morgen nach dem Aufstehen begrüßte.
»Ja, Paul. Ich bin jetzt über sechs Wochen unterwegs. Es ist an der Zeit zurückzukehren.«
»Irgendwann ist es daran. Ich werde auch bald heimkehren, der Ernst des Lebens – die Abschlussprüfungen – warten auf mich. Die Wanderung hat mir gutgetan.«
»Mir ebenso. Und, Paul, auch deine Gesellschaft. Ich weiß noch nicht, wo ich demnächst wohnen werde, aber gib du mir auf alle Fälle deine Adresse.«
»Das tue ich. Noch etwas, David. Hier ist ein Brief. Übergib ihn diesem Mann in Dresden. Er wird dir weiterhelfen. Aber...«, er hob mahnend den Finger, »das Siegel muss unberührt bleiben. Glaub mir, er wird jede Art von Manipulation daran erkennen.«
»Ein Geheimnis?«
»Nein, eine Bitte um Vertrauen.«
»Warum tust du das für mich?«
»Du weißt noch nicht mal, ob es dir nützt oder schadet.«
Sie trennten sich nach dem Frühstück mit einer freundschaftlichen Umarmung. Dann machte sich David auf den Weg zu einem Mann, von dem er nur wusste, dass sein Name Leopold Stark lautete.
Teebesuch
Er sieht ihr alle Tage
Mit neuer Liebe zu
Und scheut nicht Fleiß und Plage,
Sie lässt ihm keine Ruh
Der Herr der Erde, Novalis
»Mademoiselle haben ein bezauberndes Gesichtchen. Nur ein winziges bisschen Rouge...«
»Kein Rouge, kein Puder, keine Lippenpomade!« Antonia saß vor dem Spiegel und funkelte den Coiffeur an. Aber trotz ihrer barschen Ablehnung aller Kosmetika musste sie insgeheim zugeben, dass der Mann ein kleines Wunder vollbracht hatte. Früher hatte Elisabeth ihre Haare kurz geschnitten, später hatte Antonia selbst mit einer Schere daran herumgesäbelt, wenn sie mehr als fingerlang gewachsen waren. Diesmal hatte der Meister der Frisuren mit einem scharfen Messerchen fast eine Stunde lang Strähnchen für Strähnchen bearbeitet, die lockige Fülle mit seinen geheimnisvollen Mitteln gesalbt und gebürstet, und nun glänzten die dunkelblonden Haare mit ihren goldenen Lichtern wie ein Heiligenschein um ihren Kopf.
»Die Frisur ist ihnen hervorragend gelungen«, lobte Elena den Haarkünstler. »Sie hat eine frische Haut und bedarf der künstlichen Verschönerung nicht. Ach, wenn ich bedenke, dass meine Locken nur bestehen können, wenn ich sie auf Papilloten
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