Kreuzdame - Köln Krimi
das gewesen, was sie so beliebt gemacht hatte bei unseren Freunden.
Wie sehr prägten uns unsere Elternhäuser und die Beziehung zu unseren Vätern und Müttern? Damals, als Karin weiter studieren wollte, waren ihre Eltern wie selbstverständlich eingesprungen, hatten das eigene Leben hintangestellt und sich um Karins Kinder gekümmert. Als die Kleinen größer geworden waren und sich auch die finanzielle Lage von Karin und Karlheinz gebessert hatte, da hatten Karins Eltern ausgedient, und als ihr Vater gestorben war, hatte Karin ihre Mutter, weil sie die eigene Privatsphäre gefährdet sah, nicht bei sich aufgenommen, sondern sie in ein Pflegeheim gesteckt. Dort war die demente alte Frau dahingesiecht, aber Karin hatte gesagt, sie zu besuchen lohne sich nicht, sie erkenne ihre Familie ohnehin nicht mehr. Nirgendwo in Karins Vita taucht sie auf, die Hilfsbereitschaft ihrer Eltern, ihre Liebe, die ihr möglich gemacht hatte, die zu werden, die sie geworden war.
Und ich? Wo hatte meine Dankbarkeit jemals Ausdruck gefunden? War es Elternpflicht, für die Kinder zu sorgen, auch noch wenn sie eigentlich auf eigenen Füßen stehen sollten? Erwartete Carolin wirklich, dass ich mein Leben aufgab, um ihres zu unterstützen? Reichte es nicht, dass wir ihr Studium finanzierten und die Hochzeit? Würde ich demnächst auch, wie Carolin am Sonntag beim Frühstück vorsichtig hatte anklingen lassen, meine Zeit mit Babysitten verbringen müssen, damit sie ihr Examen machen konnte? Wo doch gerade ich damals darauf verzichtet hatte, meine Ausbildung zu beenden und zu arbeiten, um den Kindern eine gute Mutter zu sein, den Kindern, die ich hatte haben wollen.
Und Timo? Warum reagierte er so unbeteiligt, so, als ginge ihn der Tod seines Vater nichts an? Hatte nicht Klaus alles getan, um ihm ein gutes Leben zu sichern? War Timo nicht verhätschelt worden, verwöhnt und geliebt?
Am frühen Abend meldete sich Karin. »Meinst du auch, Anna könnte was mit dem Unfall zu tun haben?«
»Auf keinen Fall«, sagte ich. »Und ich glaube auch nicht, dass Charlotte das tatsächlich ernst gemeint hat.«
Karin schwieg einen Moment. Dann fragte sie: »Was Anna wohl heute macht? Ist doch komisch, da waren wir so lange so eng zusammen, wir vier, und jetzt wissen wir nichts mehr von einer von uns. Denkst du, das wäre auch so, wenn ich oder du verschwunden wären?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich, »und Annas Platz hat ja schnell Katharina eingenommen. Sie war doch eine neue Freundin für uns, oder?«
»Na ja«, sagte Karin gedehnt.
»Gut, aber trotzdem, in gewissem Sinne hat sie Anna ersetzt.«
Als ich auflegte, dachte ich an Anna. Ob sie sich wohl bei mir melden würde?
Drei Tage nach der Beerdigung rief Anna an.
»Hallo«, sagte sie, als ob wir uns erst vorgestern zum letzten Mal ausführlich unterhalten hätten. »Wie geht es dir?«
Ihre Stimme klang anders, sie war mir plötzlich sehr fremd, und ich schwieg so lange, bis sie fragte, ob ich noch dran wäre.
»Wo bist du gewesen?«, fragte ich unvermittelt und vielleicht eine Spur zu hart. »Ich meine, warum hast du uns nichts gesagt, damals, als du verschwunden bist, einfach so sang- und klanglos abgehauen bist? Du hast dich all die Jahre nicht mal zwischendurch gemeldet. Das war schon ziemlich enttäuschend für uns. Wir hatten gedacht, wir kennen uns, wir halten zusammen, wir vertrauen uns, und dann so was.«
Ich wartete darauf, dass sie mich unterbrechen oder sich verteidigen würde.
Sie schwieg und legte auf.
»Anna!«, rief ich in den Hörer. »Anna, sag was, Mensch, du kannst doch nicht wieder so einfach verschwinden!«
Auf dem Display meines Telefons stand »externer Anruf«, die Nummer war unterdrückt.
Ich hatte alles falsch gemacht, ich hätte sie zu Wort kommen lassen, sie fragen müssen, wie es ihr ging und dann vielleicht, wie sie gelebt hatte in der Zwischenzeit. Jetzt war sie womöglich wieder untergetaucht, wieder weg, und wir würden nichts mehr erfahren. Oder hatte Anna doch etwas mit Klaus’ Tod zu tun? Vielleicht hatte Klaus jetzt endlich den Entschluss gefasst, sich von ihr scheiden zu lassen, und das hätte für sie bedeutet, dass sie nichts erben würde.
In dieser Nacht wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Statt über Anna grübelte ich bald schon wieder über mein eigenes Leben nach. Wenn ich noch einmal ganz neu anfangen könnte … Ich würde vielleicht nur zwei Kinder haben und mein Dolmetscherexamen machen, würde mich wohlfühlen in meinem
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