Kreuzdame - Köln Krimi
rechts Karin, links Charlotte. Mich nahmen sie in die Mitte.
»Also«, sagte Karin, »ich kann’s nicht glauben. Bist du sicher?«
Ich nickte nur.
Eine Weile starrten wir stumm auf den Boden vor uns hin, versunken in die gleichen Überlegungen. Wie kam Anna hierher, und woher? Wo war sie in den letzten Jahren gewesen, was war mit ihr geschehen, und vor allem: Warum hatte sie damals Klaus verlassen und kam jetzt doch zu seiner Beerdigung?
Als wir zurückkehrten, hatte sich der Saal schon weitestgehend geleert.
»Alles Stadtprominenz«, sagte Martin, »die sich gezwungen sah, einem solchen Ereignis beizuwohnen, und die dann schnell wieder zu den Alltagsgeschäften zurückkehrt.«
Auch Martin, Johannes und Karlheinz mussten am Nachmittag arbeiten und mahnten langsam zum Aufbruch.
»Sollen wir drei noch ein bisschen zusammenbleiben?«, fragte Karin. Charlotte sah mich an, als wollte sie mich daran erinnern, dass alles, was sie am Samstag im Atelier erzählt hatte, unter uns bleiben sollte, und ich nickte.
»Was ist nun?«, fragte Karin, und jetzt nickte auch Charlotte.
Wenig später saßen wir im »Café Stanton« in der Schildergasse, bestellten dreimal Tee und ein Stück Sachertorte mit drei Kuchengabeln. Wir schwiegen eine Weile, vielleicht auch, weil unsere Geschmacksnerven mit der Schokolade beschäftigt waren, aber dann war es Charlotte, die das Schweigen brach.
»Wenn es wirklich Anna war«, begann sie, »dann wird sie sich bald bei dir melden, da bin ich sicher. Und dann werden wir sie alles fragen: Warum sie wieder da ist, was sie gemacht hat und warum sie damals abgehauen ist.«
Ich sah sie an und wunderte mich über die Selbstsicherheit, die sie nun wieder, wie immer, vor sich hertrug. Was war mit der Verzweiflung geschehen, mit dem Leid, das sie vor mir ausgebreitet hatte, wohin hatte sie den Schmerz vergraben, um jetzt wieder so zu wirken wie die schöne berühmte Malerin, die gewohnt war, sich im Erfolg zu sonnen? Ach Charlotte, wer bist du wirklich?, dachte ich.
»Du sagst«, fuhr Charlotte fort, »sie hatte graue Haare und sah ein bisschen rund aus? Da könnte man ja meinen, es gehe ihr nicht gut. Ich meine, sie war doch immer attraktiv, nicht übertrieben gepflegt, aber doch gut aussehend. Oder seid ihr anderer Meinung?«
»Vielleicht ist sie krank«, sagte ich leise, »vielleicht hat sie finanzielle Sorgen, wer weiß.«
»Ich denke mir«, meinte Charlotte langsam, »dass sie vielleicht weiß, was genau auf der Autobahn passiert ist. Vielleicht hat sie sogar …« Sie brach ab, als Karin und ich sie erschrocken ansahen.
»Du meinst«, rief Karin, »sie könnte schuld sein an diesem Unfall? Das glaubst du doch selbst nicht!«
»Ach was«, sagte Charlotte, »da werden wir wohl oder übel mit Frau Magari auskommen müssen. Übrigens war der Kuchen zu süß für mich, ich bestelle mir jetzt einen Wodka zur Kompensierung.« Sie lachte und meinte dann: »Und außerdem ist es ganz herrlich, mit euch zusammenzuhocken wie früher nach der Schule, wenn wir über dies und das gelästert haben. Weißt du noch, Britta, wie oft wir abends zu euch kamen, zum Fernsehen oder zum Musikhören, zum Rauchen und zum Quatschen? Deine Eltern waren wirklich spitze, und niemand von uns hatte so ein abgeschottetes Refugium, wo man machen konnte, was man wollte.«
Als ich wenig später heimfuhr, fühlte ich mich nach dem gemeinsamen Teetrinken wesentlich jünger und voller Energie, und ich hoffte, dieser Zustand würde anhalten. Gleichzeitig kreisten meine Gedanken um Charlotte, die jetzt auch noch Anna als Mörderin ins Spiel gebracht hatte. War sie damit nur darauf aus, von sich abzulenken, oder fing ich an, Gespenster zu sehen?
Charlottes Elternhaus in Riehl am Botanischen Garten war groß und vornehm gewesen, mit einem gepflegten Vorgarten und einer gepflasterten Terrasse. In Charlottes Zimmer hatte ein Mahagonischreibtisch gestanden, aus dem Erbe ihres Großvaters, der mit den Adenauers verwandt oder vielleicht auch nur bekannt gewesen war. Die Originale an den Wänden und die Stuckdecken hatten mir sehr imponiert. Allerdings hatte ich während der Familienmahlzeit in Charlottes Zimmer bleiben müssen und hatte vom Hausmädchen einen Teller mit belegten Broten serviert bekommen. Die waren mit Radieschen, Petersilie und Gürkchen verziert gewesen, aber es hatte die Herzlichkeit gefehlt, mit der meine Mutter jeden Fremden an unseren Tisch gebeten und von dem, was wir aßen, abgegeben hatte. Vermutlich war es
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