Kreuzdame - Köln Krimi
uns alle, waren ernsthafter geworden. Wir wussten, dass nichts geblieben war wie früher, aber auch, dass wir vieles verkraften konnten, dass wir ertragen hatten, was uns auf die Schultern geladen worden war, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, dass es immer einen neuen Himmel geben wird, einen neuen Tag und manchmal sogar ein neues Glück.
Marco Calucci war inzwischen zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Die Art und Weise, wie er Klaus auf der Autobahn ermordet hatte, war als besonders brutal bewertet worden. Frau Magari kam mit einer Bewährungsstrafe davon, vielleicht auch wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes.
Als Martin und ich an jenem ersten Todestag am Höninger Platz aus dem Auto stiegen und zum Friedhofseingang gingen, sahen wir dort zu unserer Überraschung Johannes, der uns zurief, Charlotte käme auch gleich. Wir blieben vor der Trauerhalle stehen, wie damals, als Klaus beerdigt worden war. Obwohl wir uns mit keinem verabredet hatten, waren alle da. Karlheinz und Karin Hand in Hand, als Letzter Timo, mit wehendem Mantel, den Autoschlüssel in die Tasche stopfend. Danach gingen wir hintereinander und stumm den großen Weg entlang, bis zu dem Grab, in dem Klaus seine letzte Ruhe gefunden hatte.
Anna stand davor und sah auf den Granitstein hinab. Ihre Lippen bewegten sich, als spräche sie mit Klaus. Da sah sie auf und lächelte.
»Schön, dass ihr gekommen seid«, sagte sie und umarmte jeden von uns. Wir standen beisammen wie Fremde, die nicht wissen, was sie miteinander reden sollen außer »Guten Tag, wie geht es?«, und traten von einem Fuß auf den anderen. Wir sahen noch immer aus wie die Crème de la Crème. Ich hoffte, einer würde sich erbarmen und diesem Schweigen, das auf uns lastete wie eine undurchdringbare Nebelwand, ein Ende setzen.
Als sich nach einigen Minuten Johannes umdrehte und gehen wollte, rief Anna: »Halt, ich wollte etwas fragen oder auch vorschlagen. Also habt ihr vielleicht Lust … Ich meine, sollten wir nicht wieder anfangen mit dem Doppelkopfspielen, mit den Kartenabenden alle vierzehn Tage? Ich habe schon was vorbereitet, ein bisschen gekocht und den Tisch gedeckt. Ich würde mich freuen, wenn wir heute bei mir damit anfangen könnten. Und danach wieder freitags alle vierzehn Tage? Ich glaube, Klaus würde das gefallen.«
Es blieb ziemlich lange still, und weil ich Angst hatte, dass die Stille sich ausweiten und zum Nein werden könnte, rief ich überlaut: »Eine wunderbare Idee, natürlich kommen wir!«, sah mich um, und die anderen nickten, lächelten, murmelten zustimmend »eine gute Idee«, und so saßen wir am Abend wirklich am ovalen englischen Tisch in der Bender’schen Villa auf der Marienburg, Johannes, Charlotte, Karin, Karlheinz, Anna, Timo, Martin und ich, aßen und tranken auf alles, was wir liebten, und Martin hob noch einmal sein Glas, um auf Klaus anzustoßen, der jetzt hoffentlich vom Himmel aus auf uns heruntersah. Danach war es wie in alten Zeiten: Wir Frauen standen auf, um in den blauen Salon zu gehen, die Männer setzten sich an den grün gedeckten Tisch in der Bibliothek und mischten die Karten, nur mit einem Unterschied: Nicht Klaus saß am Kopfende, sondern Timo.
Karlheinz erzählte, dass Männergeruch Frauen beruhige und dass Körperausdünstungen einen weitaus größeren Einfluss auf Beziehungen hätten, als bislang angenommen. Aber leider litten fünfzehn Prozent der Deutschen unter dauerhaftem Mundgeruch.
»Unter Halitosis«, erwiderte Johannes lachend, »aber das sind ja eher Fälle für die Herren Kollegen von der Zahnmedizin.«
»Natürlich gibt es auch die psychologischen Fälle«, konterte Martin, »manch einer glaubt nämlich nur, dass er schlecht riecht und dass er oder sie deswegen ausgegrenzt wird.«
Wir hörten die Männer lachen und reden wie früher.
»Also ich rieche im Moment nur ein gutes Blatt«, rief Timo, der einzige Nichtmediziner, und auch ich begann, meine Karten zu prüfen. Zukunft, dachte ich, braucht Herkunft, und begann zu spielen. Wir waren wieder aufgetaucht aus dem Strudel, der uns hatte in die Tiefe ziehen wollen.
Das Leben gleicht einer Zahnradbahn, jede Stufe ist die Vorbereitung auf die nächste, von Anfang bis zum Ende. Es ergeben sich immer neue Blickwinkel, und was gewesen ist, kann man bald kaum noch erkennen.
Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde, hat Salomo gesagt. Recht hat er.
Reinhard Rohn
KÖLNER LICHTER
Köln Krimi
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