Kreuzigers Tod
gewaltsam verfügen dürfen.«
Ich lächelte. Mich jetzt auf Kaya einzulassen, schien mir gefährlich, so nah am Ziel, wie ich war.
»Sie haben nicht mit mir zusammenarbeiten wollen,jetzt müssen Sie mir zuschauen, wie ich den Fall allein löse. Und jetzt«, ich erhob mich von meinem Stuhl, »werde ich mir einmal anschauen, was Sie so malen.«
»Glauben Sie an Flüche?« sagte er gepresst.
Es war nicht auszuschließen, dass man einen Menschen durch Beeinflussung von Kräften, die außerhalb der fassbaren Wirklichkeit wirkten, ins Unglück stürzen konnte. Der Fortschritt, der die Vertrautheit mit dem Ungreifbaren, die sich ja so schwer in Greifbares - wie etwa Geld - ummünzen lässt, für erlogen erklärt hat, war hier oben auf den Bergen nie tiefer wirksam geworden. Nur ein paar moderne Maschinen, die nach langem Misstrauen als brauchbar anerkannt wurden, hatte man gewissermaßen unter Protest aufgenommen, aber ansonsten spukte es noch allerorten. Die Existenz von Fabelwesen, Engeln und weiß der Teufel was sonst noch hatte man hier nie so energisch von sich gewiesen wie unten im Tal oder gar in den Städten, wo die Leute aufeinanderhockten und sich gegenseitig so viel Beklemmung verursachten, dass sie an etwas, das über den Lärm und Gestank ihrer selbst hinauswies, gar nicht mehr denken konnten.
»Flüche?«, entgegnete ich leise. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte, denn ich kam eigentlich aus der Stadt. Glaubte ich nun an Flüche oder nicht?
»Sollten Sie sich an meinen Bildern vergreifen, so werde ich Sie ...« Sein Gesicht verkrampfte sich, als er das sagte, sodass er neu ansetzen musste: »So werde ich Sie mit aller Kraft, die ich habe, verfluchen. Ich werde ein Unglück für Sie herbeisehnen, so lange, bis es eintritt.«
»Sie sind wirklich verrückt, Mannlechner«, antwortete ich spöttisch und lachte, so gut es ging. »Sie wissendoch, dass ich nur meine Pflicht tue. Ich werde Ihre Bilder nicht beschädigen. Ich schaue sie mir nur an.«
Als ich ein paar Schritte machte, auf die Bilder zu, stand er auf und ging mir nach. Ich blieb stehen und drehte mich um. Auch er blieb stehen und schaute mich mit einem eigenartig stechenden Blick an.
»Mannlechner, Sie können mich nicht an der Erfüllung meiner dienstlichen Pflichten hindern«, ich ging auf ihn zu, »das werde ich nicht dulden. Das kann ich nicht dulden. Wenn ich versage, muss ich mich vor meinen Vorgesetzten verantworten, verstehen Sie. Man wartet auf Ergebnisse, man will den Mörder.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß ich dem wehrlosen und gefesselten Mann mit aller Kraft mein Knie in den Bauch. Wohl ein wenig zu hoch, denn ich muss auch ein paar Rippen erwischt haben, von denen ich im Moment des Stoßes das Gefühl hatte, dass sie brachen. Mannlechner krümmte sich zusammen. Dadurch, dass er Handschellen trug, wurde der Vorgang des Zu-Boden-Gehens ein wenig behindert, was lächerlich aussah oder eigentlich so, als spiele er das Zu-Boden-Gehen lediglich vor. Um sicherzustellen, dass er mir nicht weiter lästig fiel, holte ich mit dem rechten Bein aus und - täuschte. Ich zog nicht voll durch, weil das Mannlechners Licht wahrscheinlich ausgelöscht hätte, sondern traf ihn mit dem Außenrist energisch, aber beherrscht mitten ins Gesicht. Der Maler reagierte kaum und verlor das Bewusstsein. Ich wandte mich der talseitigen Wand zu, an der eine ganze Reihe von Bildern lehnte, stellte mich vor das erste in der Reihe und zog an dem gelben Leinen, bis es zu Boden fiel und das Bild freigab.
VIII.
Es zeigte meinen Assistenten Engel. Auf die Leinwand waren zwei Bilder nebeneinander gemalt, die nahezu gleich aussahen. Beide Male sah man den Engel im Portrait, bis zur Brust. Was für einen lustigen Kinderpullover er trug! Er war türkis und verziert mit einem Muster aus allerhand Spielsachen, die so richtig durcheinander- zuwirbeln schienen. Genau genommen war es so, dass diese Spielsachen teilweise in die Fläche des Pullovers eingepasst waren und teilweise sich verselbstständigt hatten oder im Begriff waren, sich zu verselbstständigen, und ohne klare Zuordnung zu Pullover und Körper frei im Raum herumflatterten. Vereinzelt traf mein Blick sie dort an, wo sie überhaupt nicht hingehörten, nämlich außerhalb der Begrenzungslinien des Pullovers, die, weil sie von den Spielsachen so frech und unwirklich überschritten wurden, besonders energisch und dick gezogen waren. Das Doppel-Bild insgesamt sah aus wie eines jener Suchbilder, wie man
Weitere Kostenlose Bücher