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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Oberdorfer
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verkrampften Natur, dass Sie kein freier Mann sind. Sie sind mit sich selbst nicht im Reinen. Sie haben Angst. Sie sind wenig wert, ein verschlagener Mensch, ich sehe das auf den ersten Blick.«
    Das war zu viel. So schwer durfte mich der Mannlechner nicht beleidigen, schon gar nicht in der heiklen Situation, in der er sich als Verdächtiger ohnehin befand. Ich stand auf, mir war vor Wut beinahe schwindlig. Ich ging ein paar Schritte um ihn herum und pflanzte mich hinter ihm auf. Er blieb sitzen. Ich hätte am liebsten seinen Kopf gepackt und mit meinen bloßen Händen - zerdrückt. Aber ich beherrschte mich.
    »Ich stehe nicht an, zuzugeben, dass ich die Befragung der Mühlbacherin anders vorgenommen hätte, wenn ich dabei allein gewesen wäre. Der Engel wandte rohe und wahrscheinlich gesetzwidrige Methoden an, die mich eher befremdeten, als dass sie meine Billigung fanden. Das Ergebnis der Befragung, die Wahrheit aus Sicht der Mühlbacherin, rechtfertigt aber ihren Verlauf. Und jetzt verrate ich Ihnen etwas. Um Sie vor einem ähnlichen Verlauf der Einvernahme zu schützen, stieg ich allein zu Ihnen herauf, ohne den Engel. Jetzt allerdings glaube ich, dass Sie die Mühlbacher-Behandlung durchaus verdienen würden, ja mehr verdienen würden, als sie selbst sie verdient hat.«
    Ich ging um den Sitzenden herum und sah ihm in die Augen. »Ich hielt Sie für einen Freund, Mannlechner.«
    »Sie haben sich getäuscht. Sie stehen auf der falschen Seite.«
    »Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als Sie zu verhaften. Wegen des Verdachts des Mordes an Franz Kreuziger.« Ich zog die Handschellen aus der Hosentasche.
    »Die hat mein Freund also schon mitgebracht.«
    Mannlechners Hohn war so bitter, dass ich die Beherrschung verlor. Ich holte mit der geballten Faust aus, zog durch und erwischte ihn seitwärts im Gesicht, dass er vom Stuhl herunterfiel. Die gekrümmte Art, in der er auf dem Boden zu liegen kam, zeigte, dass ich einen alten Mann geschlagen hatte. Als er den Mund öffnete, um mich anzulächeln, fehlte kein Zahn und dennoch kam kein Lächeln zustande, weil sein Mund voller Blut war. Er spuckte es auf den Boden und richtete sich langsam auf.
    »Herr Mannlechner«, rief ich. »Ich erkläre Sie hiermit für verhaftet!«
    Er nickte zerstreut und streckte mir seine Hände entgegen. Die Handschellen schlössen sich mit einem glockenhellen Klicken; ich hatte sie noch nie verwendet. Wir setzten uns wieder hin. Ich hatte das Gefühl, dass mein Geschäft in diesem Haus noch nicht beendet war. Im Grunde genommen glaubte ich nicht, dass Mannlechner den Mord begangen hatte. Wenn ich ihn verhaftete, dann eigentlich nur aus Wut darüber, dass er mir nicht weiterhalf. Ich rekapitulierte. Die Mühlbacherin hatte die Leiche nicht entdeckt. Als sie den toten Kreuziger erblickte, befand der Mannlechner sich bereits dort. Wenn der Mannlechner den Kreuziger nicht erschlagen hatte, dann musste er den Mord beobachtet haben. Denn auch Mannlechner konnte die Leiche vom
    Weg aus nicht gesehen haben, weil sie vom Gras verdeckt wurde. Das hieß: Mannlechner wusste etwas, das mich ans Ziel, die Aufklärung des Mordes, bringen konnte. Es musste einen Weg geben, an dieses Wissen heranzukommen. Mannlechners Bilder, schoss es durch meinen Kopf. Ich wusste, dass Mannlechners Zeichnungen nur Vorstudien waren. Für Bilder. Ich ließ den Blick durch Mannlechners gewaltiges Atelier schweifen, wo überall an den Wänden verhüllte Leinwände lehnten. Wenn er den toten Kreuziger gezeichnet hatte, hatte er ihn dann nicht auch gemalt? Und hatte er die Studie des gespaltenen Kopfes vielleicht nur gemacht, um sie für etwas ganz anderes zu verwenden: die Darstellung von Kreuzigers Tod? Mich schauderte bei diesem Gedanken, und ich schaute wieder dorthin, wo ich zuvor das Zentrum des Raumes ausgemacht hatte. Auf der Staffelei stand eine riesige Leinwand, größer als alle anderen im Raum. Neben dem Tisch, auf dem Farben und Pinsel lagen, befand sich eine Leiter, die Mannlechner bei der Bearbeitung des riesigen Formats offenbar brauchte. Die Stille im Raum war so groß, dass Mannlechner, der meinen Blicken folgte, nicht verborgen blieb, was ich dachte.
    »Verhaften Sie mich, wenn Sie wollen. Ich kann auch Kaya herbeirufen«, mir wurde ganz heiß, als er das sagte, »die Sie allein in dem Haus nie finden würden. Sie wird Ihnen zu willen sein, gern zu willen sein, das verspreche ich Ihnen, aber ich bitte Sie zu respektieren, dass Sie über meine Kunst nicht

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