Kreuzstein
noch fest, er wollte sie nicht wecken. Blinzelnd warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, die auf dem Nachttisch lag. Es war erst halb sechs. Normalerweise war das nicht seine Zeit. Viel zu früh, und um diese Uhrzeit brachte er auch noch kein Frühstück hinunter. Aber vielleicht sollte er jetzt doch aufstehen und in die fremde Küche hinuntergehen, um einen Kaffee aufzusetzen. Sie hatten heute schließlich noch einiges vor. Unschlüssig räkelte er sich unter der warmen Decke und war wieder eingeschlafen, noch ehe er den Gedanken zu Ende gedacht hatte.
Zwei Stunden später klingelte sein Handy tatsächlich und weckte ihn. Seine Sekretärin teilte ihm mit, dass sie nicht ins Büro kam, weil aufgrund des Schneechaos der Verkehr zusammengebrochen war. Frühestens am Nachmittag sollte die Lage sich wieder normalisieren.
Dann kommt wahrscheinlich auch kein Student, dachte Allenstein und beschloss, nichts zu unternehmen. Eigentlich kam ihm dieser geschenkte Tag ganz recht. Er schlug Gabi vor, nach dem Frühstück eine Runde spazieren zu gehen. So eine Gelegenheit würden sie so schnell nicht wieder bekommen.
Noch während sie am Frühstückstisch saßen, hörten sie den Vater die Treppe herunterkommen.
»Du musst dich nicht verstellen«, meinte Gabi sofort. »Er ist in Ordnung, was meine Beziehungen angeht.«
»Ich bin gespannt.«
Die Tür öffnete sich, und Gabis Vater trat mit einem freundlichen »Guten Morgen« ein. An seinem Blick sah Henno sofort, dass der alte Herr die Situation richtig einschätzen würde.
»Habt ihr zwei einen kräftigen Kaffee für mich? Diese Kräutertees können einem den ganzen Tag verderben.«
Henno nahm die Kanne von der Wärmeplatte und schenkte ihm eine Tasse ein. Grinsend schlug er vor: »Vielleicht sollten Sie den Tee mit Kräuterschnaps kombinieren, dann schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe.«
Vater Kronberg lachte. »Das ist die Idee!«
Ein wohliges Gefühl von Glück durchzog die beiden, als sie ihre Jacken anzogen, nach draußen in den Schnee tobten und sich wie kleine Kinder mit Schneebällen bewarfen. Oben am Fenster stand Gabis Vater und schüttelte mit vielsagendem Gesichtsausdruck den Kopf. Seine Tochter war sehr wurfsicher und traf Henno mehrfach am Kopf. Nach dem dritten Treffer hatte Allenstein genug. Er startete durch und versuchte Gabi mit Schnee einzuseifen. Als sie stolperte, folgte er ihr im Fallen und begrub sie unter sich.
»Autsch, ich habe mir die Hüfte an deinen harten Knochen gestoßen.«
Gabi lachte. »Das ist der Stein vom letzten Bruch. Den habe ich ganz vergessen.«
»Wirf ihn weg. Wenn du willst, kann ich dich mit Steinen jeder Art zupflastern.«
Er fasste in ihre gesteppte Jackentasche, zog einen mit Papiertaschentüchern umwickelten Brocken heraus, packte ihn aus und setzte noch im Liegen zum Wurf an. In diesem Moment fiel sein Blick auf das Stück, das erstaunlich sauber war, und er hielt inne.
»Das ist der Stein, den du im Oberkirchener Steinbruch aufgesammelt hast?«, fragte er. Er stand auf und reichte Gabi die Hand, um ihr aufzuhelfen.
»Ja, sicher. Ist das etwas Besonderes?«
»Hast du ihn schon abgewaschen?«
»Nein, wieso? Jetzt sag schon.«
»Das ist ein Trachyt, der vom Drachenfels stammt. Normalerweise sind Gesteine aus den Brüchen immer verschlammt, auch wenn sie von Studenten weggeworfen wurden. Nach kurzer Zeit sind sie einfach verdreckt.«
Sie begannen, sich den Schnee von den Jacken zu klopfen.
»Was ist denn Trachyt?«
»Das ist ein vulkanisches Gestein. Nicht alle vulkanischen Gesteine heißen Basalt. Es gibt viele verschiedene Gesteinsschmelzen, die aus dem Erdmantel und der Erdkruste aufsteigen. Und jedes Mal erstarren sie zu einem typischen Gestein. Sieh hier, diese großen Leisten. Das sind Feldspäte, die man sich wie leicht verzogene Legosteine vorstellen kann. Sie sind ganz typisch für den Drachenfels-Trachyt. Das Gestein findest du in Deutschland nicht so schnell wieder.«
»Das heißt, es kann in Oberkirchen gar nicht vorkommen?«
»Nein. Der hat dort überhaupt nichts zu suchen. Aber Moment mal.« Henno stutzte.
»Ich habe bei Bad Honnef oben auf der Kante zum Bruch doch auch ein Gestein gefunden, das dort nicht hingehörte. Es war ein gelber Sandstein, der vermutlich Reste von Pflanzenfossilien enthielt.«
»Hast du die Fossilien bestimmt?«
»Nein, das kann ich nicht. Das ist eine Wissenschaft für sich. Dafür gibt es nur wenige Spezialisten. Allerdings habe ich dummerweise den
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