Kreuzstein
Kontrolle der Felsstabilität gebohrt worden waren. Eine notwendige Maßnahme vor vielen Jahren, als der Drachenfels im obersten Bereich einen Gürtel aus Beton erhielt. Ohne Beton wären noch mehr von den größeren Teilen herabgestürzt, so wie damals, als der Eselsweg zum Gipfel gesperrt werden musste. Die Löcher lagen abseits der Wege, hinter dichtem Gebüsch. Die Salzsäure hatte ganze Arbeit geleistet. Nach wenigen Monaten war der größte Teil des Betons zerfressen, und schon im September lagen die Löcher frei, und er hatte sie provisorisch mit einem Block aus Trachyt verschlossen.
Behutsam nahm er die graue Masse aus seinem Rucksack und drückte sie vorsichtig in die Öffnung. Mit einem mehrfach ausziehbaren Teleskopstock drückte er den Sprengstoff langsam in die Tiefe, steckte Zündkapseln und Drähte hinterher und stellte den Zündmechanismus so ein, dass er per Funk ausgelöst werden konnte. Als er das letzte Bohrloch beschickt hatte, hörte es gerade auf zu schneien.
»Verdammt«, dachte er und suchte nach einem größeren abgebrochenen Zweig. Rückwärts durch das Gebüsch kriechend wedelte er mit dem Geäst, bis die Spuren halbwegs verwischt waren.
Vielleicht bin ich ja der Letzte, der diese Treppe begeht, dachte er.
Als er unten neben der Schnellstraße stand und noch einmal zum Drachenfels emporschaute, begann es gerade wieder zu schneien. Zufrieden stieg er in seinen kleinen Lieferwagen.
| 16 |
»Ich heiße übrigens Gabriele. Meine Freunde nennen mich Gabi.« Die Kommissarin hob das Glas, in das Allenstein gerade Vaters Rotwein eingeschenkt hatte. Der Pillekauken dampfte bereits auf dem Tisch, und dichter Bratendunst hing in der Küche.
Allenstein hob ebenfalls sein Glas. »Bist du sicher?« Gabi blickte ihn irritiert an, während er eine Kunstpause machte. »Dass du mich Henno nennen willst?«
Langsam stellte sie ihr Glas auf den Tisch, drehte sich zu ihm um und schlang die Arme um ihn. »Ich gebe ja zu, dass der Name gewöhnungsbedürftig ist, aber ich bin mir ziemlich sicher.«
Gabi ließ sich einfach fallen. Es war lange her, seit sie spontan einen Mann in den Arm genommen, ihn geküsst und gespürt hatte. Beinahe wusste sie schon gar nicht mehr, was das war, körperliche Nähe. Zu viel Stress und Frustration hatten sie abgestumpft und ihr die Lebensfreude genommen. Schon seit einer Ewigkeit war sie nicht mehr auf einer Party oder sonst einem Fest gewesen. Wenn überhaupt, lernte sie Männer nur im beruflichen Umfeld kennen, und von Kollegen hatte sie nach einer komplizierten, schmerzhaften Beziehung die Nase voll. Henno war anders. Das hatte sie gleich gespürt. Zu ihm hatte sie sich vom ersten Augenblick an hingezogen gefühlt. Er war intelligent, wirkte selbstsicher, und ihr gefiel, wie er mit anderen Menschen umging. Und er sah auch noch gut aus, trotz der etwas zu groß geratenen abstehenden Ohren. Vielleicht hatte sie ja wirklich einmal Glück.
Der erste Kuss war noch zögernd. Beide erkundeten sie fremdes Terrain. Aber mit ihrer Leidenschaft wuchs auch die Sicherheit, und als sie sich schließlich voneinander lösten, strich Gabriele ihm mit einer zärtlichen Geste die Haare aus der Stirn.
»Du musst mir so viel erzählen, von dir und deiner Welt.«
»Gerne, wenn du dich revanchierst«, erwiderte Henno. »Aber was machen wir jetzt mit dem da?«
Er zeigte auf den Pillekauken, der inzwischen die richtige Verzehrtemperatur hatte.
Henno hatte noch einen halben Schritt vor sich. Vor ihm tat sich der Abgrund zu einem riesigen, unendlich tiefen Loch auf, dessen Boden er nicht einmal erahnen konnte. Der Stein, den er mit dem Fuß über die Kante schubste, wurde einfach von der dunklen Tiefe verschluckt.
»Du wirst jetzt springen«, brüllte die Stimme hinter ihm, »oder ich sprenge alles in die Luft, alles, mitsamt deiner Tochter.« Henno verkrampfte sich und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Das Handy. Er hatte sein Handy auf lautlos gestellt, und unvermittelt heftig spürte er in diesem Moment den Vibrationsalarm in der rechten Hosentasche. Schweißnass schreckte er hoch und fasste dorthin, wo er die Tasche vermutete. Stattdessen ertastete seine Hand eine unbekleidete Pobacke. Neben ihm lag Gabi. Der Vibrationsalarm war ihr entwichen, direkt auf seinen Oberschenkel.
Allenstein wusste nicht, wie ihm zumute war. Der Alptraum hielt ihn noch so im Bann, dass er am liebsten geschrien hätte. Gleichzeitig jedoch musste er aufpassen, nicht laut loszulachen. Gabi schlief
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