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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiber
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beobachtet hatte. Auf einmal stand sie mit ausgebreiteten Armen oben an der Kante. Ich dachte, sie springt. Wie im Reflex bin ich losgerannt, um sie zurückzuhalten.« Malte riss wie zur Demonstration die Arme hoch. »Sie hat sich so erschrocken, dass sie das Gleichgewicht verloren hat.«
    »Das glaube ich dir nicht, nie und nimmer. Sie haben Fasern von ihrer Jacke an einem Lagerfeuerstein oben vom Berg gefunden. Der lag unten, dort wo sie aufgeschlagen ist. Irgendjemand muss ihn ihr in den Rücken geworfen haben.«
    »Katy, du musst mir glauben. Ich war völlig am Ende nach dieser Sache. Nach Wochen hat es mich wieder in den Steinbruch getrieben. Ich habe einen von diesen Steinen in die Hand genommen, auf den sie gestürzt war.« Geistesabwesend betrachtete er seine Handfläche. »Zuerst wollte ich ihn mitnehmen, aber dann habe ich ihn einfach weggeworfen.«
    »Malte, bitte, hör doch auf«, flehte Katy. »Es hat doch alles keinen Sinn. Du sprengst dich doch selbst mit in die Luft.«
    »Doch, es hat Sinn. Alle werden es sehen. Und einen Moment lang wird auch mein Leben wieder einen Sinn haben.«
    Katy beugte sich über die Galeriebrüstung und schaute in die Tiefe. An dieser Stelle ging es senkrecht nach unten, kein Halt, kein Vorsprung würde einen Sturz aufhalten. Immer mehr Schnee sammelte sich auf dem Sims, ebenso wie auf dem schmalen Steg, auf dem Malte stand.
    »Bleib zurück«, befahl er ihr. »Du musst hier weg, sonst passiert dir noch etwas.«
    »Würdest du mich denn wirklich mit in die Luft jagen?«
    »Ich weiß nicht, wie es ausgeht. Du hast nur hinten auf dem Dach eine Chance. Lauf schnell!«, schrie er sie an. »Es ist gleich so weit.«
    Abrupt drehte er sich um und blickte auf den Vorplatz. Der Schneefall, seine Deckung, ließ ein wenig nach.
    »Malte, bitte, bitte tu es nicht!« Noch nie im Leben hatte sie sich so hilflos gefühlt.
    Mit einem Ruck drehte Malte sich wieder zu Katy um, die ihm die Arme entgegenstreckte, als wolle sie ihn an sich drücken. Der Schneefall hatte jetzt ganz aufgehört. Deutlich konnte sie sein Mienenspiel im Licht der Scheinwerfer erkennen, die den Dom anstrahlten. Sie sah ihm an, wie er mit sich rang. Plötzlich begann er heftig zu zittern. Er hielt sich mit beiden Händen den Bauch und krümmte sich, als wolle er dadurch die Vibration seines Körpers abfangen.
    »Malte, was ist los? Warte, ich helfe dir!«
    Katy machte Anstalten, über die Brüstung zu klettern.
    »Nein!«, schrie er und richtete sich ruckartig auf.
    Der Schnee auf seinem Vorsprung war offensichtlich schon zu glatt geworden. Erstarrt vor Entsetzen sah Katy, wie es ihm die Beine wegriss. Taumelnd hob er den einen Arm, während er mit dem anderen das Handy an die Brust drückte und mit dem verzweifelten Schrei »Zu früh« in die Tiefe stürzte.
    Katy wollte schreien, aber kein Ton drang aus ihrem Mund. Und als sie sich schließlich umdrehte und wie gejagt den Gang entlanghetzte, zerrissen zwei Schüsse die Stille der Nacht. Sie ahnte nicht, dass zwei Scharfschützen Malte im Fallen getroffen hatten und er bereits tot unten auf der Domplatte aufschlug. Sie rannte die Treppe des Turms hinunter, bis auf die Höhe des Daches. Dort nahmen die Männer vom SEK sie in Empfang und brachten sie an das andere Ende des Langhauses über dem Chorraum, in dem mehr als 2000 Besucher zusammengedrängt auf ein Signal warteten.
    Henno Allenstein stand am Rand der Absperrung. Der Schneefall hatte nachgelassen, sodass er die Person auf der Säule des Südturms gerade noch erahnen konnte.
    »Geben Sie mir kurz Ihr Tele!«, forderte er einen Mann von der Presse auf, der sich neben ihn gedrängt hatte. Der Reporter war so verblüfft, dass er ihm anstandslos seine Kamera überließ.
    Hastig zoomte Henno das Ende der Säule heran. Das musste ein Mann sein, der dort stand. Katy konnte er nicht erkennen. Oder doch? Er sah eine verschwommene Gestalt hinten in der Galerie.  
    »Machen Sie doch etwas«, herrschte er den Leiter des SEK an. Aber was sollten die Polizeibeamten schon machen?
    In diesem Augenblick krümmte sich die Person auf dem Säulenende und taumelte.
    »Drücken Sie ab, Mann, drücken Sie ab!«, fuhr ihn der Reporter an, der mit einem schwächeren Tele die Lage ebenfalls beobachtete.
    Wie unter Zwang drückte Henno den Auslöser und hielt fest. Auch als der Mann das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte, folgte er ihm mit der Kamera. Die Einschläge der Kugeln konnte er nur ahnen, da der Schall aus den

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