Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Bürger – mit Sidolin geputzt
Seifferheld saß vor einem der Internet-Arbeitsplätze in der Stadtbücherei und fluchte. Natürlich verhalten nach innen, nicht laut nach draußen. Zumal die Chefin höchstselbst gerade im Gang neben ihm Bücher einsortierte.
Die Stadtbücherei war ein imposanter Glasbau, und somit hatte Seifferheld freie Sicht auf Onis, der angebunden an der Holzbank vor dem Optikerladen auf ihn wartete. Braver Hund.
Seifferheld schaute wieder auf den Bildschirm. Ihre Suche ergab keinen Treffer, stand da zu lesen.
Sein sage und schreibe dreiunddreißigster Versuch und wieder ein Satz mit x.
Seifferheld war ein Kind der internetlosen Zeit. WWW – das hatte seinerzeit für »Wir wollen Wasa-Knäcke« gestanden. Wo lagen denn die Vorteile dieser weltweiten Vernetzung, wenn man nicht einmal so simple Dinge wie die Mitgliedschaften eines Menschen in sämtlichen Vereinen abklären konnte? Er hatte auf der Homepage der Stadt eine Übersicht aller Vereine gefunden, aber keine Möglichkeit, herauszufinden, ob es einen Verein gab, in dem alle Opfer Mitglied gewesen waren.
Datenschutz. Humbug!
Dank Google erfuhr Seifferheld, dass Klier über www.elite.de eine »durchtrainierte, vollbusige Blondine imRaum S, HN und SHA« gesucht hatte, dass Prenzlau bei der Weihnachtsfeier seiner früheren Firma mit phänomenalem Erfolg (drei Smileys) als Pamela Anderson aufgetreten war und den sogenannten Abtasttest durch Oberbuchhalter Marquardt bestanden hatte und dass Rettenberg bei seinem Studium an der Tübinger Uni unehrenhaft aus der Burschenschaft Teutonia entlassen worden war (keine Angabe von Gründen). Intimste Details eines Menschen – für immer gespeichert im weltweiten Datenbankgedächtnis. Aber ermittlungstechnisch nützliche Dinge durften nicht veröffentlicht werden.
Ha!
Jetzt müsste man Hacker sein.
Seifferheld echauffierte sich ein wenig, stieß abgehackt Luft durch die Nase aus und überlegte, was er als Nächstes tun könnte, um an die Informationen zu kommen, die er suchte.
Sein Blick wanderte vom Bildschirm nach rechts zum Fenster, hinaus auf die Straße, hinüber zur Bank vor dem Optiker und er sah … nichts!
Onis war weg.
Seifferheld vergaß seine Gehhilfe, seinen Notizblock, die halbleere Packung mit Ingwerbonbons und eilte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und hinaus ins Freie.
»Onis!«, rief er. »Onis!«
Ein Bellen erklang.
Gott sei Dank!
Der Felsen von Gibraltar fiel Seifferheld vom Herzen.
Onis war nicht spurlos verschwunden.
Onis lebte.
Onis bellte.
Pech nur, dass das Bellen aus einem Streifenwagen erklang.
Man hatte Onis verhaftet!
Es gibt Menschen, die machen einen allein dadurch wütend, dass sie atmen
Haspinger!
Dieser vermaledeite Hundsfott. Dieser Idiot auf zwei Beinen. Dieses Kollegenschwein.
Manfred Haspinger hatte auf seiner Einkaufstour durch die Innenstadt den angeleinten Onis gesehen und prompt die 110 gewählt: Gefahrhund ohne Aufsicht in der Nähe von Kindern.
Wiewohl an diesem völlig normalen Schulvormittag weit und breit kein Kind zu sehen war. Und Onis auch überhaupt kein Gefahrhund war.
Seifferheld schäumte.
»Hören Sie mal, ich werde gegen das Schreiben vom Ordnungsamt Widerspruch einlegen!«, sagte er zu dem angegrauten Streifenbeamten, der sich vor den Wagenschlag des Polizeiautos aufgebaut hatte und ihm den Zugang zu seinem Hund verwehrte. »Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.«
Onis drückte die Schnauze an der Scheibe platt und wedelte mit dem Schwanz. In seinem canizentrischen Weltbild war er die Mitte des Universums, um die sich alles drehte. Als er sich an der Bank gelangweilt hatte, kamen diese beiden netten Männer in Uniform, kraulten ihn ein wenig und luden ihn dann zum Spielen in ihr Auto ein. Für ihn war die Welt in Ordnung.
Haspinger, der mit seiner Schlecker-Tüte und verschränkten Armen vor der Miedertruhe (Angebot der Woche: Sexy Bustiers von S bis XXL) stand, rief: »Man muss an die Kinder denken.«
»Von meinem Hund geht keine Gefahr aus!«, brüllte Seifferheld.
»Vom Hund vielleicht nicht, aber von Ihnen. Schalten Sie mal einen Gang zurück«, riet der jüngere Kollege des Streifenbeamten nicht unfreundlich.
»Ich will Ihnen mal was sagen …«, fing Seifferheld in erhöhter Dezibeltonlage an. Bevor er sich um Kopf und Kragen brüllen konnte, ertönte eine melodische Frauenstimme.
»Wir haben unseren Hund nur kurz an die Bank angeleint, um ein paar Besorgungen zu erledigen, nicht wahr, Liebling?«
MaC
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