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Kreuzzug gegen den Gral

Kreuzzug gegen den Gral

Titel: Kreuzzug gegen den Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Rahn
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Daseins zu entreißen. Ohne Erfolg. Eines Tages fragt sie der Friedensrichter, wie es denn möglich gewesen sei, daß die Bären sie nicht zerrissen hätten. Da antwortet sie in der Mundart jener Täler:
    »Die Bären? Sie sind meine Freunde. Sie wärmten mich!«
    Die Frau wird krank. Man bringt sie in das Krankenhaus von Foix. Sie entflieht am zwanzigsten Juli, wird aber am zweiten August in der Nähe Tarascons ergriffen, bevor sie wieder zum Montcalm hinauf steigen kann. Man schafft sie nach Foix zurück und sperrt sie im Schloßgefängnis ein. Dort stirbt sie am neunundzwanzigsten Oktober des Jahres 1808, um ein Uhr morgens. Die Sehnsucht nach ihren Bergen hat sie getötet.
    Nie ist es gelungen, das Geheimnis der Folie du Montcalm zu lüften. Die Bauern aus den weltfernen Tälern dort unten wollten mich wissen lassen, sie sei die letzte Enkelin der Ketzer gewesen ...
    Seit sechshundert Jahren ist der romanische Catharismus tot. Er starb in den Höhlen von Ornolac, wo Tausende von Jahren zuvor seine Wiege gestanden hatte. Der Tabor, einst Romaniens Parnaß, ist eine gewaltige Nekropole geworden. Eine der edelsten Kulturen liegt dort begraben. Vielleicht hat das kalkhaltige Wasser der Sabarthes-Quellen den Höhlensaal verschlossen, in dem zum zweiten Mal das catharische Mysterium der Manisola begangen wurde. Vielleicht liegen hier, vom Berg begraben, die letzten in der Endura gestorbenen Cathari um den Ketzerschatz, dessen Anblick all ihren Brüdern den Mut gegeben hatte, lächelnd in den Tod zu gehen und im Sterben, als die Flammen der Scheiterhaufen an ihnen hochzüngelten, auszurufen: »Gott ist Liebe!« Wenn Gott gütiger und verständnisvoller ist als die Menschen, sollte da den Ketzern im Jenseits nicht das zuteil geworden sein, was sie ersehnten, was sie mit grausamster Selbstüberwindung, konsequentester Willensstärke und mit unerhörtem Heroismus wollten? Sie wollten Vergottung im Geist ...
    Apotheose! Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, also: sein Leben nach dem Tode!
    Was mag aus dem Gral, der romanischen Mani geworden sein? Eine Pyrenäenlegende will wissen, der Gral entferne sich um so weiter von dieser Welt, steige um so höher gen Himmel, als die Menschheit seiner unwürdig geworden sei. Vielleicht hüten Romaniens Reine den Gral auf einem der Sterne, die Montségur, Romaniens Golgatha, wie eine Gloriole umgeben.
    Der Gral symbolisierte den Wunsch nach dem Paradies, in dem der Mensch der Gottheit Bild, nicht Zerrbild war, und das man sehen darf, wenn man seinen Nächsten liebt wie sich selbst. Ritterliche Recken, betende Dichter, dichtende Priester, reine Frauen hüteten einst dieses Symbol. 140 *
    Halte das Bild der Würdigen fest! Wie leuchtende Sterne teilte sie aus die Natur durch den unendlichen Raum.
    Goethe
    Vorbemerkungen zum wissenschaftlichen Teil
    Vor geraumer Zeit schon hatte ich den Entschluß gefaßt, den kaum erhellten Beziehungen zwischen romanischer Poesie und Mystik und deren Auswirkung auf die Geisteshaltung des mittelalterlichen Deutschland nachzugehen. Erst als es mir verstattet war, diese These in Romani-en selbst in Angriff zu nehmen, gewahrte ich die schnurgerade Straße, die von Montségur, dem romanischen »Tempel der höchsten Minne«, nach Wildenberg bei Amorbach, der Burg des größten deutschen Minnedichters, Wolfram von Eschenbach führt. Da erst erkannte ich auch, daß die deutsche und romanische Minnewelt, uns so fern und so nahe zugleich, nur durch die Erkenntnis ihrer auf germanisch-keltischem Urgrund gewachsenen Minnemystik in ihrer sublimen Schönheit geschaut werden können.
    Der Catharismus war eine über ganz Europa verbreitete dualistische Bewegung. Wie sich die catharischen Sekten vom Balkan bis Köln und Toulouse auf gleicher Basis organisierten, um in dem längst drohenden Entscheidungskampf mit Rom und Paris stark zu sein, ist in der vorlie-
    genden Arbeit nicht besprochen worden, um den gegebenen Rahmen nicht zu sprengen. Ich habe auch die landläufige Auffassung unberücksichtigt gelassen, daß der romanische Catharismus - der Albigeismus also - ein Zweig der Bogumilen, der slawischen Ketzer, gewesen ist. Die diesbezüglichen, durchaus nicht feststehenden Lehrmeinungen können in jedem Werk über den Catharismus, insbesondere Schmidt und Döl-linger, nachgelesen und mit meinen Ausführungen verglichen werden. Es lag mir weit mehr daran, das autochthone Moment im Albigeismus in den Vordergrund zu stellen, da ich auf bislang unberücksichtigte

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