Kreuzzug gegen den Gral
Materialismus der römischen Kirche zu verlieren, alles: Religion, Kult und Leben.
Um so verwunderlicher ist es, daß diese Doktrin, wohl die toleranteste und intoleranteste christliche Lehrmeinung zugleich, sich mit einer fast beispiellosen Macht ausbreitete. Die Hauptursache dafür war wohl das vorbildlich reine und fromme Leben der Cathari, das in zu offensichtlichem Widerspruch mit der Lebensweise des orthodoxen Klerus stand. Daß der Catharismus vorzugsweise in dem französischen Süden Eingang fand, lag einmal daran, daß der romanische Catharismus autochthon war, und daß den Romanen die Mythen und Allegorien der Reinen näher lagen, als die Predigten oft unwissender und sehr oft unwürdiger orthodoxer Priester. 79 Vergessen wir aber nicht, daß der cathari-sche Dualismus mit der Teufelsfurcht der römischen Kirche des Mittelalters wohltätig kontrastierte. Man kennt ja zur Genüge den bedrückenden Einfluß der Teufelsvorstellungen auf die Geisteshaltung des christlichen Mittelalters. Auch in der römischen Kirche war der Antichrist Gottes Widersacher, er hatte seine Hölle, Heerscharen und eine satanische Gewalt über die Geister. Im Vergleich zu der katholischen Teufelsfurcht, die einem Jahrtausend das trostlose Gepräge gab, hatte die Vorstellung der Cathari von Luzibel geradezu etwas Versöhnliches. Hier war ja Luzifer nur ein unbotmäßiger, ungeistiger und verlogener Engel, die Verkörperung der Welt, wie sie war und ist. Wenn die Menschheit von sich aus den Weg zur Vergeistigung findet, ist nach ketzerischer Meinung die Macht des Fürsten dieser Welt gebrochen. Es bleibt ihm dann nichts anderes übrig, als reuevoll und bußfertig sich dem Geist zu unterwerfen. Entkleiden wir einmal die catharische Lehre allen mythologischen Beiwerks. Was bleibt? Es bleibt die berühmte Kantsche Vierteilung:
Erstens: Koexistenz des guten und schlechten Prinzips im Menschen. Zweitens: Kampf des guten und schlechten Prinzips um die Herrschaft im Menschen.
Drittens: Sieg des Guten über das Schlechte, Beginn des Reiches Gottes. Viertens: Sonderung des Wahren und Falschen unter Leitung des guten Prinzips.
Wir sehen also, daß in Romanien Dichten und Philosophieren wirklich eins waren.
Die romanische Minnekirche bestand aus Vollkommenen (perfecti) und Gläubigen (credentes oder imperfecti) 80 . Die Gläubigen waren von den strengen Regeln, nach denen die Vollkommenen als »Reine« lebten, nicht betroffen. Sie konnten schalten und walten, wie es ihnen beliebte, sich verheiraten, Geschäfte treiben, Minnelieder dichten, Krieg führen, kurz, leben, wie man damals in Romanien lebte. Der Name Catharus stand eigentlich nur denen zu, die nach einer genau festgelegten Vorbereitungszeit und durch eine Sakramentshandlung, das consolamentum (Tröstung), von der wir später sprechen werden, in die esoterischen Geheimnisse der Minnekirche eingeweiht worden waren.
Wie die Druiden lebten die Cathari in Wäldern und Höhlen 81 und dort übten sie fast durchweg ihre Kulthandlungen aus. Ein weißgedeckter Tisch diente als Altar. Darauf lag das Neue Testament in provengali-scher Sprache beim ersten Kapitel des Johannesevangeliums aufgeschlagen: »Im Anfang war das Wort, das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.«
Die Gottesdienste waren von der gleichen Schlichtheit. Sie wurden mit der Auslegung einer Stelle des Neuen Testamentes begonnen. Darauf folgte die Segnung. Die beim Gottesdienst anwesenden Gläubigen falteten die Hände, knieten nieder, verneigten sich dreimal und sagten dabei zu den Vollkommenen:
»Segnet uns.«
Beim dritten Male fügten sie hinzu:
»Betet zu Gott für uns Sünder, daß er aus uns gute Christen mache und uns zu einem guten Ende führe.«
Die Vollkommenen erhoben jedesmal segnend die Hände und antworteten:
»Diaus vos benesiga.« »Gott segne euch! Möge Gott aus euch gute Christen machen und euch zu einem guten Ende führen.«
In Deutschland, wo es ebenfalls Cathari gab, baten die Gläubigen in gereimter Prosa um die Segnung:
»Nimmer müsse ich ersterben, ich müsse umb euch erwerben, daß mein end gut werde.«
Die Vollkommenen antworteten ihnen:
»Und werdest ein gut mann.«
Nach der Segnung beteten alle Anwesenden das Vaterunser, das einzige von der Minnekirche anerkannte Gebet. Nur sagten sie, anstatt: und gib uns unser täglich Brot, »und gib uns täglich unser überirdisch Brot«, da ihnen irdisches Brot nicht eines Gebetes würdig schien. Obwohl sie ihre Bitte um überirdisches Brot im
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