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Kreuzzug gegen den Gral

Kreuzzug gegen den Gral

Titel: Kreuzzug gegen den Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Rahn
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mußte und den man sein symbolisches »Gewand« nannte. 85
    Zuletzt gaben die Vollkommenen dem neuen Reinen den Friedenskuß. Der gab ihn an den ihm Nächststehenden zurück, der ihn seinerseits weiter gab. War das Consolamentum einer Gläubigen erteilt worden, so berührte der Priester ihre Schulter mit der Bibel und reichte ihr den Arm. Die Cathara gab diese symbolische Form des Friedenskusses ihrem Nachbarn weiter.
    Dann mußte sich der Neophyt in die Einöde zurückziehen und durfte vierzig Tage lang nur von Wasser und Brot leben, obwohl er gerade eine nicht minder lange und strenge Fastenzeit hinter sich hatte. Endura 86 nannte man dieses Fasten vor und nach dem Empfang des Consolamen-tums.
    Wenn die Tröstung sterbenden Gläubigen erteilt wurde, so begaben sich zwei Cathari von einigen Gläubigen begleitet in das Sterbezimmer. Der ältere fragte den Kranken, ob er sich Gott und dem Evangelium weihen wolle. Darauf fand die übliche Zeremonie statt mit dem Unterschied, daß man auf die Brust des Neophyten ein weißes Tuch legte und daß sich der eine Catharus zu seinen Häupten und der andere zu seinen Füßen stellte.
    Es ist oft vorgekommen, daß die Cathari nach Empfang des Consola-mentums, während der Endura, Freitod begingen. Ihre Lehre gestattete wie die der Druiden den Selbstmord, verlangte aber, daß man nicht aus Lebensüberdruß, Angst oder Schmerz, sondern in vollkommenem Losgelöstsein von der Materie seinem Leben ein Ende mache.
    Diese Art Endura war erlaubt, wenn sie in einem Augenblick mystischen Schauens der göttlichen Schönheit und Güte vorgenommen wurde. Der Selbstmörder, der aus Angst, Schmerz oder Lebensüberdruß sich entleibte, mußte nach catharischer Lehre in derselben Angst, demselben Schmerz, demselben Überdruß seine Seele weiterschleppen. Da die Ketzer als wahres Leben nur das nach dem Tode anerkannten, lehrten sie, man dürfe sich nur töten, um »leben« zu wollen.
    Von Fasten zu Freitod ist nur ein Schritt. Zum Fasten gehört Mut, aber zum letzten Akt endgültiger Fleischabtötung gehört Heroismus. Die Konsequenz ist gar nicht so grausam, wie sie zu sein scheint.
    Sehen wir uns doch die Totenmaske der »Inconnue de la Seine« an. Wo sind da Todesangst, wo Schrecken vor Fegfeuer und Hölle, vor göttlichem Gericht und göttlicher Rache? Gute Christin war sie nicht, denn christliches Dogma verbietet den Freitod. Abgehärmt war sie auch nicht, denn so sehen abgehärmte Frauen nicht aus. Sie war ein junger Mensch, den das Jenseits mehr anzog als das Diesseits, der eben den Heroismus aufbrachte, den Körper zu töten, um nur noch Seele zu sein. Ihr Körper ist im schmutzigen Wasser der Seine gestorben, ihr seliges Lächeln lebt. Faustens Tod war im Grunde genommen Selbstmord. Hätte er, als er zum Augenblick sagte: »Verweile doch, du bist so schön!«, seinen Pakt mit Mephistopheles nicht gebrochen, so hätte seinem Weiterleben auf Erden nichts im Wege gestanden. Darin liegt eine tiefe Lehre: die Ent-leibung darf nur im Augenblick höchster Freude geschehen - je höher die Freude, um so unirdischer ist sie -, wenn man Gram und Lüge, die Regenten dieser Welt, in Seelenruhe abgetan hat, und wenn man sich sagen darf: »Ich habe nicht vergebens gelebt.«
    Was heißt »nicht vergebens leben« nach ketzerischer Lehre? Einmal: seinen Nächsten lieben wie sich selbst, also seinen Bruder nicht leiden lassen, wenn man die Möglichkeit hat, ihm Trost und Hilfe zu geben. Zweitens: seinem Nächsten nicht weh tun und vor allen Dingen ihn nicht töten. Drittens: im Leben sich so vergeistigen, also vergotten, daß der Körper in der Todesstunde den Weggang von dieser Welt nicht bedauert. Sonst findet die Seele keine Ruhe. Hat man als Mensch nicht vergebens gelebt, hat man nur Gutes getan und ist man selbst gut geworden, so darf man als »Vollkommener« den entscheidenden Schritt tun, sagten die Cathari.
    Sie begingen die Endura immer zu zweit. Mit dem Mitbruder, an dessen Seite der Catharus in sublimiertester Freundschaft Jahre strebenden Bemühens und intensivster Vergeistigung verbracht hatte, wollte er auch im nächsten wahren Leben vereint an den vorausgeschauten Schönheiten der jenseitigen Welt und an der Erkenntnis der Welten bewegenden göttlichen Gesetze teilnehmen.
    Es gab noch einen Grund für der Cathari Freitod zu zweit. Seinen Mitbruder verlassen zu müssen, schmerzte. Wenn man stirbt, darf die Seele keinen Schmerz empfinden, sonst leidet sie im Jenseits an diesem Schmerz weiter.

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